Die Angebote im Bereich des Coachings sind unüberschaubar. Zum Zweck einer Professionalisierung und Fundierung ist es ratsam, die Ergebnisse der Psychotherapie-Wirkungsforschung im Coaching zu berücksichtigen. Bislang liegen vier Metanalysen zur Wirksamkeit von Coaching vor, deren Fazit nach Kotte et al. (2016) lautet: Coaching insgesamt wirkt, aber es wirkt nicht immer. Daher kommt der Untersuchung von Wirkfaktoren eine große Bedeutung zu.
Die Ergebnisse der internationalen Psychotherapie-Wirkungsforschung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
(1) Psychotherapie ist wirksam, wenngleich weit weniger, als dies oft angeben wird. Nur bei einem Drittel der Interventionen zeigen sich gute bis sehr gute und längerfristige Effekte.
(2) Es gibt keine grundsätzliche Überlegenheit einer bestimmten Psychotherapie-Richtung über andere Richtungen. Jede scheint bei bestimmten Patienten, bestimmten psychischen Erkrankungen und in den Händen bestimmter Therapeuten eine unterschiedliche Wirkung zu entfalten.
(3) Die Wirkung seriöser psychotherapeutischer Interventionen wird zu 30 bis 70 Prozent von unspezifischen Wirkfaktoren bestimmt. Sie bestehen (a) im Glauben des Patienten an die Kunst des Therapeuten, (b) im Glauben des Therapeuten an seine Fähigkeit, dem Patienten zu helfen, und (c) im Glauben beider an eine bestimmte Heilmethode. Man fasst diese Faktoren zur "therapeutischen Allianz" zusammen.
Diese Erkenntnisse kann sich das Coaching nutzbar machen. Dieser Beitrag geht dabei davon aus, dass die Gemeinsamkeit von Coaching und Psychotherapie im Thema Persönlichkeitsentwicklung liegt, wenngleich es wichtige Unterschiede zwischen den beiden Formaten gibt. Vom Coaching ausgeschlossen sind sehr schwere Beeinträchtigungen des Klienten, wie etwa Angst- und Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen. Allerdings kommt es vor, dass bei beruflichen Fragestellungen persönliche Themen eine bedeutsame Rolle spielen (Details in Roth & Strüber, 2014; Roth & Ryba, 2016).
Aus Sicht der Hirnforschung wirken Interventionen in Coaching und Psychotherapie auf unterschiedlichen Ebenen des Gehirns, und zwar auf drei "limbischen" Ebenen und einer kognitiven Ebene.
Die untere limbische Ebene enthält alle Mechanismen, die der Lebenserhaltung und der Erfüllung der körperlichen Bedürfnisse dienen. Auf ihr sind aber auch diejenigen Merkmale von Psyche und Persönlichkeit angesiedelt, mit der wir auf die Welt kommen und die in der Persönlichkeitspsychologie "Temperament" genannt werden. Heute nimmt man an, dass dieses Temperament bereits eine Mischung von genetisch-epigenetischen Faktoren und vorgeburtlichen Einwirkungen über Körper und Gehirn der Mutter darstellt. Die auf der unteren limbischen Ebene ablaufenden Prozesse sind und bleiben unbewusst - sie gehören zum "primären Unbewussten" - und sind schwer "von außen" zu ändern.
Auf der mittleren limbischen Ebene vollziehen sich die Erfahrungen im Laufe der ersten drei Jahre, vornehmlich solche im Zusammenhang der Interaktion mit der primären Bezugsperson, meist der Mutter. Diese Erfahrungen prägen sich tief ein und sind nur durch gezielte emotionalisierende Maßnahmen zu ändern (s. unten). Säugling und Kleinkind erleben diese Erfahrungen zumindest teilweise bewusst, diese Erfahrungen können aber nicht langfristig abgespeichert und erinnert werden, da in den ersten Lebensjahren noch kein erinnerungsfähiges Langzeitgedächtnis vorhanden ist. Sie gehören wegen ihrer prinzipiellen Nichterinnerbarkeit zum "sekundären Unbewussten".
Auf der oberen limbischen Ebene vollziehen sich diejenigen Prozesse, die geeignet sind, unsere primäre Persönlichkeit mit den Erfordernissen des sozialen Zusammenlebens in Einklang zu bringen. Hier geht es um die Ausbildung von Kooperativität, Rücksichtnahme, Geduld, Kompromissfähigkeit, Empathie, aber auch um Zielstrebigkeit, Durchsetzungswille, Selbstwirksamkeit, Selbstverwirklichung usw. All dies vollzieht sich auf bewusste und vorbewusste Weise, d.h., im Rahmen des Aktualbewusstseins als Zustand des Arbeitsgedächtnisses, gefolgt vom Absinken der Inhalte in das Langzeitgedächtnis, aus dem die Inhalte durch Erinnern gegebenenfalls wieder ins Aktualbewusstsein zurückgeholt werden können. Einige Inhalte sinken aber - sofern sie nicht verstärkt werden - so tief in das Langzeitgedächtnis ab, dass sie nicht mehr willentlich erinnert werden können, sondern nur mithilfe eines Coachs oder Psychotherapeuten. Diese Inhalte werden von den Autoren als das "tiefe Vorbewusste" bezeichnet.
Die drei limbischen Ebenen sind auch der Ort der nicht-sprachlichen Kommunikation auf der Grundlage von Mimik, Gestik, Blick, Körperhaltung und Stimmlage. Sie steuern unbewusst, intuitiv oder bewusst unser Denken, Fühlen und Handeln.
Auf der kognitiv-sprachlichen Ebene finden der Erfahrungs- und Wissenserwerb sowie die sprachliche Kommunikation als Grundlage des sachlichen Denkens, der Vorstellungen und der Handlungsplanung statt - also ohne Emotionen. Die emotionalen Komponenten solcher Geschehnisse werden von den Instanzen der oberen limbischen Ebene hinzugefügt, kognitive und emotionale Inhalte können aber im Prinzip voneinander getrennt werden (so kann eine emotionale Erregung eines Geschehens völlig verschwinden, ohne dass der sachliche Inhalt verschwindet). Die kognitiv-sprachliche Ebene kann zwar von den limbischen Ebenen stark beeinflusst werden, hat aber selbst kaum Einfluss auf diese und damit auf unsere Gefühle und unser Verhalten. Deshalb können uns Gefühle - auch unbewusster Art - manchmal überwältigen und zu "irrationalem" Verhalten führen. Umgekehrt ist es schwierig bis unmöglich, starke emotionale Zustände gedanklich-rational zu kontrollieren.
Auf den drei genannten limbischen Ebenen entwickeln sich Persönlichkeit und Psyche. Dies geschieht im Rahmen der Funktionen von sechs "psycho-neuralen" Grundsystemen:
(1) Das Stressverarbeitungssystem legt fest, in welchem Maße eine Person mit Problemen und Belastungen umgehen kann.
(2) Das Selbstberuhigungssystem legt fest, wie schnell und effektiv eine Person sich beruhigen und psychisch stabilisieren kann.
(3) Das Bindungssystem bestimmt, in welchem Maße wir als Kinder, Jugendliche und Erwachsene emotional gebunden sein und Bindung vermitteln sowie Empathie zeigen können.
(4) Im Impulshemmungssystem entwickelt sich die Fähigkeit zur Kontrolle des eigenen Verhaltens, zur Zielstrebigkeit, zum Belohnungsaufschub und zur Kooperativität.
(5) Das Motivationssystem bildet die unbewussten, intuitiven und bewussten Motive und Ziele aus, die unser Verhalten lenken.
(6) Das Realitäts- und Risikowahrnehmungssystem beruht auf der Fähigkeit, die tatsächlichen Konsequenzen unseres Verhaltens zu registrieren sowie mögliche Konsequenzen unseres Handelns abzuschätzen und bei der Handlungsplanung zu berücksichtigen.
Diese Systeme befinden sich im gesunden Zustand in einem dynamischen Gleichgewicht, können aber durch verschiedene Faktoren wie genetische Vorbelastungen, vor- und nachgeburtliche negative Einflüsse, insbesondere im Zusammenhang mit einer mangelnden Bindungserfahrung, Erfahrungen in der späteren Kindheit und Jugend sowie im Erwachsenenalter in unterschiedlicher Stärke Ungleichgewichte - von Grawe (2004) "Inkonsistenzen" genannt - hervorrufen. Inkonsistenzen können sich zwischen den genannten Ebenen, etwa als Widersprüche zwischen unbewussten und bewussten Motiven und Zielen (z.B. negative Bindungserlebnisse in früher Jugend vs. prosoziales Verhalten im Erwachsenenalter) oder auch innerhalb der Ebenen - etwa in Form von unterschiedlichen bewussten Zielsetzungen (z.B. Bindungsbedürfnis vs. Autonomiebedürfnis) - ergeben.
Dieses Modell beruht auf dem psychodynamischen Ansatz, d.h. der Erkenntnis, dass Störungen und Belastungen im späten Jugendalter und im Erwachsenenalter durch frühe negative Erfahrungen entweder mitverursacht oder zumindest in ihrer Auftrittswahrscheinlichkeit als "Vulnerabilität" beeinflusst werden. Umgekehrt stellen positive frühkindliche Erfahrungen einen deutlichen "Resilienz-Faktor" dar. Allerdings kann der Anteil früherer Störungen hinsichtlich ihrer Art, ihrem Zeitpunkt und ihrer Stärke erheblich variieren und bei manchen Störungen im Erwachsenenalter vernachlässigbar sein. Was die Intervention betrifft, so präferieren die Autoren einen integrativen Ansatz, der die Vorteile der jeweiligen methodischen Ansätze neurowissenschaftlich fundiert in einem kohärenten Modell abbildet.
Untersuchungen zu den Wirksamkeitsmodellen der etablierten, klassischen Psychotherapieverfahren ergeben folgende Aufschlüsse:
Verhaltenstherapie: Der eindeutige Vorteil der VT ist der Ansatz zur direkten Verhaltensänderung durch das Einüben neuer Verhaltensweisen. Ein Nachteil ist, dass bei tiefergreifenden Störungen die Gefahr der Behandlung der Symptome und nicht der Ursachen besteht. Entgegen dem Modell der VT gibt es keine Löschung "fehlangepasster" Verhaltensweisen, sondern nur ein Einkapseln oder Überlernen dieser Verhaltensweisen durch besser angepasste Verhaltensmuster. Der psychodynamische Ansatz (Frage nach dem Entstehen und möglichen Ursachen der Beeinträchtigung) fehlt durchweg. Weiterhin wird wenig Wert auf einen personalen Bezug zwischen Therapeut und Patient (die therapeutische Allianz) gelegt. Eine systematische Bindungsorientierung von VT ist noch nicht verbreitet.
Kognitive (Verhaltens-)Therapie: Der Vorteil der KVT besteht in der Fokussierung auf dysfunktionalen Schemata des Fühlens und Denkens und nicht nur des Handelns sowie die Respektierung der Autonomie des Patienten. Ein wesentlicher Nachteil der KVT besteht in der Begrenzung der Intervention auf eine rein kognitive Umstrukturierung, die jedoch ohne Aktivierung von Emotionen nachweislich wirkungslos bleibt. Ebenso gibt es wie bei der VT bisher keinen weitergehenden psychodynamischen Ansatz und erst ansatzweise eine intensive Bindungsorientierung.
Psychoanalyse: Der große Vorteil der PA besteht in der Berücksichtigung der "Vorgeschichte" und der möglichen Ursachen der psychischen Erkrankungen. Die klassische PA wurde nach Freud durch eine starke Bindungsorientierung ergänzt. Ein wesentlicher Nachteil der PA im Freud’schen Sinn besteht in einer zu starken Fokussierung auf "Bewusstmachen des Unbewussten" und der oft zu starken Befassung mit möglichen traumatischen Geschehnissen. Im Gegensatz zum Wirkmodell der klassischen PA kann Unbewusstes nicht bewusst gemacht werden, sondern es können nur Inhalte bewusst gemacht werden, die einmal bewusst waren, aber ins Vorbewusste (Langzeitgedächtnis) so tief abgesunken sind, dass sie durch den Patienten allein nicht wieder erinnert werden können.
Allen drei Richtungen ist gemeinsam, dass sie der Herstellung der "therapeutischen Allianz" zu geringe Bedeutung einräumen, ebenso der Suche und der Anwendung von vorhandenen Ressourcen.
Bei den meisten Klienten bewirkt die "therapeutische Allianz" über bindungsbezogene neuronale Mechanismen eine schnelle Besserung der Befindlichkeit, die aber meist nicht tiefgreifend und anhaltend ist. Dies ist nur durch Interventionen zu erreichen, welche die dysfunktionalen Denk-, Fühl- und Handlungsgewohnheiten verändern, und parallel eine Restrukturierung des kognitiv-emotionalen "deklarativen" Gedächtnisses auf bewusster Ebene sowie des "prozeduralen" Gedächtnisses der automatisierten Handlungen (Gewohnheiten) auf intuitive und unbewusste Weise bewirken.
Ersteres geschieht durch ein vielfach wiederholtes Erinnern negativer Gedächtnisinhalte und der Kontrastierung dieser Inhalte mit positiven Erinnerungen (aufgrund einer sorgfältigen Ressourcensuche), so dass die negativen Gedächtnisinhalte zunehmend durch die positiven "verdrängt" (wenngleich nicht ausgelöscht) werden. Dies geschieht im Zustand "entspannter Aufmerksamkeit", wie sie unter anderem durch hypnotherapeutische Maßnahmen erzeugt werden kann.
Letzteres verläuft über das geduldige "prozedurale" Einüben neuer Verhaltensweisen (z.B. Veränderung von Vermeidungsverhalten, selbstsicheres Auftreten usw.) in den Basalganglien. Auch hierbei werden die tief eingegrabenen negativen Gewohnheiten nicht ausgelöscht, sondern überdeckt bzw. es werden neue Spuren in den Basalganglien angelegt, die dann einen hemmenden Einfluss auf die alten negativen Gewohnheiten ausüben.
Der Ansatz der Autoren baut auf den von Klaus Grawe (2004) genannten Wirkfaktoren auf. Dieser umfasst:
(1) die Beziehung: Die Vertrauensbeziehung zwischen dem Coach und dem Klienten trägt wesentlich zum Coaching-Erfolg bei.
(2) die Ressourcenaktivierung: Persönlichkeitsmerkmale des Klienten werden als Ressource für die Intervention genutzt. Dies umfasst Motive, Fähigkeiten und Interessen der Klienten.
(3) die Problemaktualisierung: Die Defizite, die verändert werden sollen, müssen unmittelbar erfahrbar gemacht werden. Dazu suchen Coach und Klient reale Problemsituationen auf oder aktualisieren erlebnismäßig die Probleme durch Techniken wie intensives Erzählen, Imaginationsübungen, Rollenspiele.
(4) die motivationale Klärung: Der Coach ist darum bemüht, dem Klienten ein klareres Bewusstsein der Ursprünge, Hintergründe und aufrechterhaltende Faktoren seines problematischen Erlebens und Verhaltens zu vermitteln. Allerdings nicht, wie oft in der Psychoanalyse, vornehmlich als "Aufklärung", sondern als Aufsuchen des therapeutischen Weges.
(5) die Problembewältigung: Der Coach unterstützt den Klienten mit problemspezifischen Maßnahmen darin, positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit seinen Problemen zu machen. Wie erwähnt, geschieht dies in paralleler Weise sowohl auf explizit-deklarativer wie implizit-prozeduraler Weise, d.h. durch die Restrukturierung von belastenden Erinnerungen durch die Aktivierung "kontrastierender" positiver Erfahrungen und durch das Einüben besserer Verhaltensweisen. Nur so können die tief eingegrabenen "falschen Schemata" des Fühlens, Denkens und Handelns eingekapselt und überlernt werden.
Der Coach muss in der Lage sein, die Befindlichkeit des Klienten, die Art und Stärke seiner Belastungen, seine Persönlichkeit und die vorhandenen positiven Ressourcen zu erkennen. Auf dieser Grundlage entscheidet der Coach, welche Interventionen er anwendet. Er muss dafür über einen Vorrat an Interventionsmöglichkeiten verfügen, die nachweislich wirken - wenngleich immer in sehr individueller Weise. So lassen sich je nach Art, Zeitpunkt und Stärke der Störungen wirksame Elemente aus dem Repertoire der Verhaltenstherapie, der kognitiven Therapie, den psychodynamischen Ansätzen, der Hypnotherapie usw. entnehmen. Voraussetzung ist der Nachweis der Wirksamkeit in einem bestimmten Beratungs- und Behandlungskontext. Wichtig zu beachten ist, dass auch das Coaching die "therapeutische Allianz" als wichtigstes "Werkzeug" berücksichtigt.