Das Tool dient der Reflexion der persönlichen Werteentwicklung auf Basis des beruflichen und privaten Werdegangs sowie anhand von getroffenen Entscheidungen, Erfahrungen, Erfolgserlebnissen und Hindernissen. Äußere und innere Wertekonflikte sowie Situationen, in denen sich die eigenen Werte verstärkt positiv gezeigt haben oder eine positive Auswirkung hatten, können transparent gemacht werden.
Das Tool „Der persönliche Wertegang“ findet seine Ableitung aus dem im Bewerbungsprozess eingesetzten Werdegang: meist in Form des sogenannten Lebenslaufs. Diese Dokumente beinhalten üblicherweise eine Ansammlung der beruflichen Stationen, der Ausbildung(en) etc. – die Summe der beruflichen Qualifikationen. Das nachfolgend beschriebene Coaching-Tool dient dem Zweck, diesen Werdegang um die persönlichen Kompetenzen, Werte, Erfahrungen und Motivationen zu ergänzen bzw. anzureichern.
Das Tool eignet sich als grundlegende Wertearbeit zu Beginn oder während eines Coaching-Prozesses. Für Klienten, die sich bis dato noch wenig bis gar nicht mit ihren Werten auseinandergesetzt haben, kann es als Analysemethode für ihr individuelles Werteprofil hilfreich sein. Eine Ausgangssituation könnte z.B. darin bestehen, dass ein Klient eine mangelnde Übereinstimmung seiner Werte mit denen anderer als Problem wahrnimmt und dadurch seine Lebensqualität beeinträchtigt sieht.
Weitere spezifischere Einsatzmöglichkeiten können sich daraus ergeben, sich beruflich neu zu orientieren, künftigen Entscheidungen eine andere Werte-Grundlage zu geben, das eigene Selbstbild mit neuem Selbstvertrauen und -bewusstsein zu ergänzen sowie persönliche Krisen zu bewältigen.
Das Hauptziel dieses Coaching-Tools besteht darin, eine Werteklarheit zu erlangen, die sichere Entscheidungen und Begründungen für eigene in die Zukunft gerichtete Handlungen erlaubt. Die vorausgehende Analyse, wie und welche Werte den Klienten in Situationen leiten, in denen er Stellung bezieht und für sich urteilt, stellt die Basis für die Entwicklung einer handlungsorientierten Kraft dar. Ein vorangegangenes negativ erlebtes Selbstbild, ein geringes Selbstbewusstsein, das Gefühl, Entscheidungen getroffen zu haben, die man in der Retrospektive als negativ bewertet, können durch die Anwendung des Tools reflektiert und verbessert werden. Der Klient kann zukünftige berufliche und private Entscheidungen gelassener und bewusster gestalten, wodurch sich ein erhöhtes Sicherheits- und Selbstwertgefühl einstellt.
Das Tool ist ein hilfreiches Instrument, um dem Klienten die Möglichkeit zu verschaffen, die eigenen verschiedenen Wertesysteme kennenzulernen und miteinander zu versöhnen. Ein Effekt dieser Intervention kann eine positive Veränderung der persönlichen Ausstrahlung, Willenskraft und Stärke sein. Weitergehend ist ein Aufzeigen der Wertevielfalt, des Wertepotenzials und von Werteverwirklichungsoptionen möglich.
Zur Vorbereitung ist es ratsam, den Klienten zu bitten, die Sammlung der markanten Situationen für die Coaching-Session vorzubereiten. An dieser Stelle startet bereits der Prozess des Klienten und er hat Zeit, geeignete Begebenheiten zu sammeln. Es ist ratsam, diese Sammlung als Hausaufgabe zu deklarieren, da sie einige Zeit in Anspruch nehmen kann und bereits einen eigenen inneren Reflexionsprozess des Klienten auslöst.
Konkret lautet die Vorgabe: „Bitte stellen Sie Begebenheiten, Situationen, Begegnungen mit Personen in Ihrem Leben zusammen, die Sie als bedeutsam oder markant erlebt haben. Das können positiv als auch negativ erlebte Situationen sein und sie können aus dem beruflichen sowie privaten Umfeld kommen.“ Die Begebenheiten können aus dem beruflichen Werdegang oder der Ausbildung stammen, z.B. konkrete Situationen im Arbeitsumfeld, in Gesprächssituationen, in Begegnungen mit Kollegen, Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kunden etc. Relevante private Begebenheiten können ebenso vielfältig sein, z.B. markante Lebenssituationen wie die Geburt des Kindes, Trennungen, Krankheiten von Angehörigen etc.
Als Einstieg in die Intervention dient die Frage des Coachs, was der Klient mit dem Begriff „Werte“ verbindet und genau darunter versteht. Da dieser Begriff in unserem Sprachgebrauch teilweise als veraltet empfunden wird, kann es an dieser Stelle hilfreich sein, dem Begriff eine Bedeutung zu geben, um ein gemeinsames Verständnis zwischen Coach und Klient zu generieren. Für die Anwendung des Tools ist dies eine wichtige Grundlage. Als nützlich und wertvoll haben sich folgende Aussagen erwiesen, um sie mit dem Klienten zu Beginn zu reflektieren:
Hat der Klient sein Verständnis für den Begriff „Werte“ reflektiert, geht es im nächsten Schritt um die Betrachtung der bedeutsamen und markanten Situationen des Klienten, die dieser zur Vorbereitung auf die Coaching-Session bereits gesammelt hat.
Der Coach überträgt dazu die Situationen in kurzen Stichworten auf ein Flipchart oder auf eine Metaplanwand. Es gilt, den Klienten schon in dieser Phase zu ermutigen, positive als auch negativ erlebte Situationen zu benennen. Der Coach weist darauf hin, dass dies dazu dient, eine breitere Analyse und somit ein tieferes Werteverständnis zu erhalten.
Im folgenden Schritt geht es darum, markante Situationen näher zu beleuchten. Der Coach lässt den Klienten eine erste Begebenheit auswählen. Diese wird mit einem Stichwort auf eine Karte geschrieben, an die Metaplanwand gepinnt oder auf den Boden gelegt, falls keine Metaplanwand vorhanden ist. Der Klient berichtet kurz, was sich in dieser Situation ereignet hat. Die Arbeit des Coachs sieht vor, dass sowohl Wertekonflikte (Situationen, in denen der Klient gegen seine Überzeugungen gehandelt hat) besprochen als auch Werteübereinstimmungen herausgearbeitet werden und diese ebenso auf Karten notiert werden. Als Anregung und zur Verdeutlichung bietet es sich an, für Wertekonflikte in Abgrenzung zu Werteübereinstimmungen unterschiedlich farbige Karten zu verwenden. Dies erleichtert die visuelle Darstellung und ergibt am Ende ein eigenes Bild der erlebten Situationen.
Während dieses Prozesses helfen Fragen dem Klienten, sich seinem Wertesystem immer weiter anzunähern. Wird ein Wert stellvertretend in einer erlebten Situation herausgearbeitet, kann dieser noch tiefer beleuchtet werden. Als Hilfestellung für die Selbstreflexion kann der Coach mit Fragen unterstützen:
Nachdem die Situationen in Bezug auf das persönliche Werteempfinden des Klienten beleuchtet wurden, können diese in eine chronologische Reihenfolge gebracht werden. Durch die chronologische Anordnung wird das Ziel verfolgt, eine mögliche Entwicklung des Klienten sichtbar zu machen. Das Gesamtbild bildet den Ausgangspunkt für weitere Betrachtungen und Analysen.
Der sich aufzeigende Wertegang wird beim Klienten bereits eine Wirkung auslösen. Diese kann behutsam reflektiert werden. Gegebenenfalls sind positive aber ebenso negative Tendenzen erkennbar, die in bestimmten Begebenheiten in der Vergangenheit ihren Ursprung haben.
Je nachdem, welche „Färbung“ das Bild des Klienten ergibt, kann eine positive Würdigung, angeleitet durch den Coach, sehr hilfreich für den weiteren Prozess sein. Sieht der Klient seine Vergangenheit eher als negativ an, unterstützen Reframing-Angebote des Coachs den Klienten darin, die positiven Aspekte wahrzunehmen und die Einstellung zu ändern: Welche Lerneffekte zeigen sich? Welche guten Absichten sind erkennbar? Welcher Perspektivwechsel erzielt eine positive Wirkung? Ob es sinnvoll ist, an dieser Stelle tiefergehende Fragen anzuschließen, unterliegt der sensiblen und erfahrenen Einschätzung des Coachs. Die folgenden, beispielhaften Fragen von Migge (2018, S. 327, 339) sind als Anregung zu verstehen:
Um die Intervention nachhaltiger zu gestalten, bietet es sich an, die Ergebnisse aufzuarbeiten. Der Klient hat so die Möglichkeit, sich immer wieder mit seinen Werten zu beschäftigen und kann daran in Eigenregie weiterarbeiten. Eine bildliche Darstellung des Resultats des vorangegangenen Prozesses kann eine erweiterte Wirkung auf das Klientensystem und eine tiefere Festigung in alle inneren Bereiche des Klienten nach sich ziehen. Die nachfolgenden Varianten können als „Hausaufgabe“ vom Coach angeregt werden.
Der Wertegang lässt sich analog zum beruflichen Werdegang in Form eines (tabellarischen) Lebenslaufs festhalten. Als Anregung kann der Coach einige Vorgaben machen, jedoch sollte auch die Phantasie und Kreativität des Klienten an dieser Stelle ihren Raum finden. Durch die vorher im Prozess beleuchteten Stationen im Leben des Klienten lassen sich ungefähre Zeitangaben machen. Zu den Zeitangaben kann der Klient die Situation beschreiben und welche Werte sich wie gezeigt haben. Dieses Zusammenfassen der erarbeiteten Inhalte aus dem Coaching hat einen erneuten reflexiven Charakter. Das fertige Dokument kann in einer weiteren Sitzung besprochen werden.
Eine weitere Variante bietet sich bei spielerisch veranlagten Klienten an, die sich gerne bildlich ausdrücken. Der Wertegang kann als Bild in Form eines Weges dargestellt werden. Dieser Weg kann Weggabelungen sowie Haltestellen haben und/oder in Sackgassen führen. Gewählte Farben und Formen, die zur Hervorhebung und Kategorisierung der Werte genutzt wurden, sind Bestandteil der folgenden Coaching-Sitzung. Ein Klient wird intuitiv Farben und Formen auswählen. Der Coach sollte erfragen, welche Bewandtnis diese für den Klienten haben. Hieraus können sich Ansätze für die weitere Reflexion ergeben. Das Bild kann ebenfalls durch den Klienten erweitert, verändert und fortgeführt werden.
Die Erstellung eines werteorientierten Leitbildes, abgeleitet aus den Ergebnissen der Intervention, ist die aufwändigste Darstellung. Diese verspricht jedoch eine sehr tiefe Auseinandersetzung mit den eigenen Werten. Sie setzt allerdings ebendiese Bereitschaft voraus. Eine gewisse sprachliche Ausdrucksfähigkeit sollte an dieser Stelle aufseiten des Klienten gegeben sein.
Zum Abschluss der Intervention wird das Ergebnis mit dem Klienten reflektiert. Ziel ist die Identifikation der persönlichen Kernwerte – ebendieser Werte, die den Klienten ausmachen, aber am tiefsten versteckt sind. Die Abschlussreflexion sollte darin resultieren, dem Klienten eine gute Orientierung für zukünftige Herausforderungen an die Hand zu geben und eine authentischere Wirkung in kommenden Situationen zu ermöglichen. Im Idealfall hat der Klient durch seinen Wertegang sein Selbstbewusstsein soweit gestärkt, dass er künftigen Herausforderungen mit mehr Gelassenheit begegnen kann.
Der erfolgreiche Einsatz des Tools setzt die Bereitschaft des Klienten voraus, sich für Selbsterkenntnis und Selbstreflexion zu öffnen. Wird das Tool zu Beginn eines Coaching-Prozesses eingesetzt, ist ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Klient eine wesentliche Grundlage. Ebenso ist es essentiell, dem Klienten die Vorgehensweise der Intervention im Vorfeld genau zu erklären. Der Coach sollte zudem in Wertearbeit erfahren sein und den Klienten als Hausaufgabe bitten, die wesentlichen und bedeutsamen Situationen vorzubereiten.
Klienten, die sich bislang noch wenig mit ihren persönlichen Werten auseinandergesetzt haben, bietet dieses Tool eine gute Orientierung und Annäherung, indem persönliche Erlebnisse aufgegriffen und reflektiert werden. Für Klienten, die sich bereits ihrer Werte bewusst sind, dient es der Überprüfung und Aktualisierung übernommener und selbst gewählter Wertevorstellungen. In jedem Fall erschaffen sich die Klienten eine werteorientierte Grundlage für ihr Handeln und können ihre Zukunft zielgerichteter gestalten.
Bei Fragestellungen zur zukünftigen Lebensgestaltung bildet der persönliche Wertegang ein wesentliches Fundament. Zur Auseinandersetzung mit emotional berührenden Momenten sollte sehr behutsam ermutigt werden, da sich unter Umständen tiefgreifende Erkenntnisse zeigen können.
Je nach Klient sind bei diesem Tool längere Coaching-Sitzungen zwischen 90 und 120 Minuten einzuplanen und der Klient sollte entsprechend darauf vorbereitet werden. Als Material für diese Intervention eignen sich Flipchart, Metaplanwand oder der Fußboden, Metaplankarten in unterschiedlichen Farben sowie Stifte. Im Falle einer digitalen Sitzung kann entweder mit der gleichen analogen Vorgehensweise (aufseiten des Coachs allerdings mit zwei Kameras) gearbeitet oder auf eine digitale Whiteboardfunktion zurückgegriffen werden.
Bei sehr gründlicher Anwendung ist der Zeitfaktor ein wichtiger Bestandteil. Je nachdem, wie intensiv sich der Klient bereits mit seiner Vergangenheit und seinen Werten auseinandergesetzt hat, kann der Einsatz des Tools sich über zwei bis vier Sitzungen ausdehnen. Wird als Abschluss ein persönliches Werteleitbild angestrebt, muss auch an dieser Stelle vom Coach die erforderliche Zeit einkalkuliert werden.