12.02.2009
Greifen Beschäftigte aufgrund der erhöhten psychischen Belastungen in der Arbeitswelt zu aufputschenden, konzentrationssteigernden oder beruhigenden Arzneien? Die DAK hat das im Sport heftig diskutierte Thema Doping jetzt auch für die Arbeitswelt näher untersucht. Sie bat namhafte Experten aus Wissenschaft und Praxis um Einschätzungen über Hintergründe und führte eine repräsentative Befragung bei rund 3.000 Arbeitnehmern im Alter von 20 bis 50 Jahren durch.
Ergebnis des Reports: Vier von 10 Beschäftigten wissen, dass Medikamente gegen alters- und krankheitsbedingte Gedächtnisstörungen oder Depressionen auch bei Gesunden wirken können. Bedenklich: Zwei von zehn Befragten meinen, dass die Risiken dieser Arzneimittel im Vergleich zum Nutzen vertretbar sind. Nahezu genau so viele (18,5 %) kennen mindestens eine Person, die leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente ohne medizinische Erfordernis eingenommen hat. Fünf Prozent bestätigt, als Gesunder schon einmal mit derartigen Medikamenten nachgeholfen zu haben. Dies sind immerhin gut zwei Millionen Beschäftigte in Deutschland.
Die weitere Analyse ergab, dass weniger als die Hälfte davon (bis etwa 0,8 Millionen) regelmäßig und sehr gezielt diese Medikamente als Doping nehmen und sie außerhalb der Apotheke beziehen. So nehmen vier von zehn „Dopern“ die Medikamente täglich bis mehrmals wöchentlich ein. Etwa jeder Fünfte nennt als Bezugsquelle Kollegen, Freunde und die Familie und mehr als jeder Zehnte den Versandhandel.
Der Gesundheitsreport zeigt Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männer neigen eher zu aufputschenden und konzentrationsfördernden Präparaten, Frauen bevorzugen beruhigende Mittel gegen depressive Verstimmungen oder Ängste. „Männer frisieren ihr Leistungspotenzial - Frauen polieren ihre Stimmungen auf“, kommentiert DAK-Chef Herbert Rebscher.
Medikamenten-Doping ist ein Thema am Arbeitsplatz: Jedem fünften Arbeitnehmer wurden bereits leistungssteigernde und stimmungsaufhellende Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit empfohlen. Insbesondere Kollegen, Freunde und Familie sind hier beteiligt. Bemerkenswert: Knapp jede dritte Empfehlung kommt von Ärzten.
Die DAK hat die Arzneimitteldaten von Antidepressiva, Mitteln gegen Demenz und ADHS sowie Betablockern analysiert und untersucht, inwieweit diese Mittel abweichend von ihrer Zulassung verordnet werden. Dabei wurden Verordnungs- und Diagnosedaten miteinander abgeglichen. Die Ergebnisse dieser Analyse geben indirekte Hinweise auf eine mögliche Fehl- und Überversorgung oder Medikamentenmissbrauch. Es liegt aufgrund der Daten nahe, dass Beschäftigte Medikamente auf eigenen Wunsch erhielten, um mehr zu leisten oder stressresistenter zu werden. Die Ergebnisse im Einzelnen:
Die DAK warnt davor, derartige Medikamente ohne medizinische Begründung einzunehmen, nur um seine Leistung zu steigern oder „besser drauf zu sein“. „Konzentriert, kreativ, karrierebewusst: Der Wunsch, immer perfekt sein zu müssen, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen“, sagt Rebscher. Es bestehe auf lange Sicht ein hohes Nebenwirkungs- und Suchtpotenzial.
Die Studie ergab allerdings, dass jeder fünfte Arbeitnehmer die Einnahme von Medikamenten ohne medizinische Erfordernis für vertretbar hält, um die Leistung im Job zu steigern. Knapp 20 Prozent der Befragten akzeptieren Stimmungsaufheller, um beruflichen Stress und Konflikte am Arbeitsplatz besser auszuhalten. „Dies ist für uns ein Alarmsignal“, sagt der DAK-Chef. „Wer für jede Situation eine Pille einnimmt, verlernt seine Probleme selbst zu lösen.“ Auffällig ist: Beschäftigte mit hohem Stresspotenzial, einem unsicheren Arbeitsplatz oder starker Konkurrenz halten Doping am Arbeitsplatz für vertretbarer als Arbeitnehmer, die weniger unter Leistungsdruck stehen. Auch aus Sicht der Experten begünstigen Faktoren in der heutigen Arbeitswelt das Doping.
Die DAK möchte über die Gefahren des Missbrauchs dieser Medikamente frühzeitig aufklären. „Derzeit ist Doping am Arbeitsplatz zwar noch kein weit verbreitetes Phänomen, weil viele Menschen die Nebenwirkungen fürchten“, bilanziert Rebscher. „In Zukunft wird sich durch die zunehmende Medikalisierung der Gesellschaft und nebenwirkungsärmere Medikamente die Entwicklung beschleunigen. (tw)
Weitere Informationen:
www.dak.de