30.10.2008
An der Paneldiskussion auf dem Coaching-Kongress 2008 konnte er nicht teilnehmen. Doch was er zum Thema Professionalisierung denkt, breitet er in den letzten Monaten an vielen Stellen - und hier den Lesern der OSC - auf über mehr als 30 Seiten aus.
Coaching und Supervision unterliegen einem Professionalisierungsdruck, argumentiert der Bielefelder Soziologe Kühl. Und das liege an ihrer Personenzentriertheit. Eine interessante, aber auch gewagte, weil unsystemische These – als ob Coaching nur Sache von Coach und Klient sei, sozusagen kontextfrei. Dass nämlich die Professionalisierung des Managements nicht stattgefunden habe, es also keine geregelten Wege dorthin gebe, begründet Kühl damit, dass Management eben nicht personen- sondern organisationsbezogen sei. Hierbei sieht er vom Thema „Führung“, geschweige denn von „transformationaler Führung“ völlig ab. Management als blutleere, apersonale Steuerung? Wie sollte das in die Landschaft passen? Und auch wenn es keinen „one best way“ ins Management gibt, hat sich doch eine betriebswirtschaftliche Ausbildung nicht nur als höchst hilfreich, sondern auch als höchst willkommen heraus gestellt. Die normative Kraft des Faktischen. Kühl geht darauf überhaupt nicht ein.
Die personenorientierte Beratung, und an dieser Stelle ist Coaching und Supervision für Kühl ein und dasselbe, steht vor der Alternative, einem engen oder einem weitem Professionalisierungsbegriff zu zu neigen. Eng meint eine kollektiv angelegte Professionsbildung mit geregelten Ausbildungswegen und Unterordnung des Einzelnen unter verpflichtende Standards, die von Verbänden kontrolliert werden. Weit meint, jeder ist selbst verantwortlich für seine Professionalisierung, es gibt keinen Zwang, der Markt regelt Angebot und Nachfrage. Doch wenn es keinen Zwang, keine Aufsicht, keine Marktschließung gibt, dann lässt sich das sogenannte Scharlatanerieproblem nicht in den Griff bekommen, denn es ist noch nicht einmal möglich, sich kollektiv darauf zu einigen, was und wer ein Scharlatan ist. Die Scharlatane sind immer die anderen.
Deshalb ist für Kühl die personenorientierte Beratung professionalisierungsbedürftig. Denn es geht um das Wohl und Wehe des Einzelnen. Was, wenn die Klienten nach der Beratung Selbstmord begehen? Was, wenn die Beratungssituation Einfallstor für Sekten wird? Es ist also die Nähe zur Psychotherapie, die die Beratung kritisch macht; und die Scientology-Hysterie, die Angst vor Psycho-Vodoo und Gurutum. Als ob das Wohl und Wehe der vielen nicht ebenso wichtig ist: Stichwort Finanzkrise; wer hat uns denn geraten, unser Geld in Island anzulegen oder bei den Lehman Brothers? Die Branche der Finanzvermittler war doch bis vor kurzem auch völlig frei und unreguliert. Eine andere „Baustelle“? Warum soll die Branche der personenorientierten Beratung so besonders sein? Doch weil sie es in den Augen vieler offenbar ist, weil die Professionalisierung in ihr nicht gelinge, verbleibe das Problem auf der Nachfragerseite: Personalentwickler müssten den Coach-Einkauf kanalisieren, Qualitätssicherung betreiben. Und dabei hegten sie diverse Kompetenzvermutungen, oftmals säßen sie aber auch diversen Qualitätssurrogaten auf.
Beispiel Coaching-Pools: Wo sonst gebe es denn solche Pools? Für IT-Experten etwa oder für Werbe- und PR-Profis? Eben nicht, wundert sich Kühl. Recht hat er. Die Qualitätsprobleme in der Beziehung zwischen Leistungserbringern und Klienten sind in den klassischen Berufen, Kühl nennt die Religion, die Medizin und die Erziehung, durch eine Selbstkontrolle der Leistungserbringer in den Griff bekommen worden.
Der Leser beginnt, sich die Augen zu reiben. Fangen wir einmal mit Luther und der Katholischen Kirche an, gehen wir weiter zur Alternativmedizin und schauen wir uns dann die PISA-Studien an oder die neuesten Studien der Stiftung Bildungstest zum Thema Qualitätsmanagement in der beruflichen Weiterbildung. Die Kühlsche Argumentation besticht einfach nicht. Die Lösung des Professionalisierungsproblems zwischen Marktkräften, berufsverbandlicher Selbstorganisation und staatlicher Kontrolle zu suchen, ist womöglich zu eng gedacht. In den Blick geraten dabei überhaupt nicht die dynamischen Entwicklungen in der Berufslandschaft (ein Stichwort: Bachelor und Master) und das sich verändernde Feld beruflicher Praxis selbst (Stichwort: Liberalisierung).
Kühls Argumentation ist ein theoretisches Kalkül, weitgehend ohne erkennbare empirische Unterfütterung. Vielleicht wäre das ein Ansatzpunkt, zunächst einmal zu untersuchen, wie denn empirisch Prozesse von Vertrauensbildung ablaufen, um dann endlich zu Modellen zu kommen, die tragen. Da wird es nicht reichen, den frühen Luhmann zu zitieren, Giddens aufzugreifen wäre schon eher angebracht. Und ohne eine gehörige Portion Sozialpsychologie wird es sicher auch nicht gehen. (tw)