Doppelmoral bei der Evaluation?

06.08.2008

BIBB: Betriebsbefragung „Bildungscontrolling revisited“ kommt zu ernüchternden Ergebnissen.

„Mehr Unternehmen behaupten von sich, dass sie Bildungscontrolling betreiben, als es tatsächlich tun“, resümiert Dr. Bernd Käpplinger vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) seine aktuelle Studie zum Bildungscontrolling. Das lasse Raum für Spekulationen: Glauben die Unternehmen, es sei sozial erwünscht, Bildungscontrolling durchzuführen? Oder ist das Verständnis einfach ein anderes als das von Experten?

Bereits 1997 hatte das BIBB rund 1.500 Unternehmen nach ihrem Umgang mit dem Thema Bildungscontrolling gefragt. Damals waren je nach Betriebsgröße 70 bis 80 Prozent der Befragten davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Bildungscontrolling zunehmen werde. Die aktuelle Untersuchung hat diese Entwicklung klar bestätigt. Doch das genauere Hinschauen offenbart Paradoxien.

Zwar sagen sie meisten Betriebe, dass sie zumindest teilweise auf Controlling-Instrumente für die betriebliche Weiterbildung zugreifen. Geht es aber etwa um die Art der Kostenerfassung mit Instrumenten wie Evaluation, Transfersicherung oder Bildungsbedarfsanalysen, seien die Ergebnisse seit 1997 weitestgehend gleich geblieben: Unternehmen wissen zwar, was sie für Weiterbildung ausgeben, aber nicht, wie sich das tatsächlich am Arbeitsplatz niederschlägt: Eine Nutzenanalyse oder Transfersicherung führen demnach nur wenige Betriebe durch. Auch arbeitsplatznahe Lernformen sind trotz zunehmender Bedeutung nur unzureichend erfasst. Ein Blick auf die eingesetzten Instrumente, lasse zudem die Vermutung zu, dass Unternehmen nur beschränkte Etats haben oder dass die Angebote auf dem Markt nicht zu den Erwartungen der Unternehmen passen. Denn die meisten Organisationen setzen auf Bildungscontrolling „Marke Eigenbau“.

Im Vorfeld der Befragung hat das BIBB zahlreiche Experteninterviews mit Akteuren des Bildungscontrollings aus Wissenschaft, Praxis und Forschung durchgeführt. Der Tenor: Die Vorstellung, dass es sich beim Bildungscontrolling um ein sehr umfassendes System handelt, schrecke viele Unternehmen zurück. Dementsprechend gaben in der Befragung „Bildungscontrolling revisited“ weniger als zehn Prozent an, dass sie einen Bildungscontroller brauchen.

Diese paradoxe Befundlage scheint die Diagnose von Professor Dr. Stefan Kühl zu stützen. Der Bielefelder Soziologe hatte unlängst im Coaching-Magazin das Evaluations-Dilemma erklärt: „Je weniger wir tatsächlich Evaluationen durchführen, je schwieriger sie sich gestalten, desto mehr werden wir sie beschwören und desto härtere Anforderungen werden wir – verbal – an sie stellen. Und umgekehrt.“

Mario Gust, der den jährlichen deutschen Fachkongresses für Bildungscontrolling durchführt, erklärt sich den paradoxen Befund auf andere Weise: „Zurzeit ist es so, dass Betriebswirte die kennzahlenbasierten und betriebswirtschaftlichen Aspekte des Themas abdecken, aber nichts von den sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Methoden verstehen, die man für Erhebungen im Bildungscontrolling notwendig braucht.“ Die Psychologen und Pädagogen hätten wiederum keine Ahnung von ökonomischen Belangen. Der Kongress im September soll deshalb aufzeigen, wie Unternehmen das Spannungsfeld zwischen betriebswirtschaftlichem Kalkül und sozialer Validität der betrieblichen Bildungsarbeit in den Griff bekommen können.

An der aktuellen Betriebsbefragung des BIBB nahmen rund 1.500 Unternehmen teil. Dr. Bernd Käpplinger vom BIBB stellt die Studie erstmals auf dem „6. deutschen fachkongress für bildungscontrolling“ vor, der am 9. und 10. September in Köln parallel zur Fachmesse Zukunft Personal stattfindet. (tw)

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