Kontrovers

Orientierung im Dschungel

Fachliche Qualitätskriterien des Coachings

Die Rubrik "Bad Practice" zielt darauf, über Missstände und Fehlentwicklungen im Coaching zu informieren – und damit Interessierte gegen dubiose Methoden und „schwarze Schafe“ zu sensibilisieren. In seinem Eröffnungsbeitrag schildert Dr. Michael Utsch, wie sich ein Betroffener von einem zwielichtigen Selbstfindungsseminar abwandte und erörtert, was der beste Schutz vor solchen Angeboten ist: einheitliche Qualitätskriterien.

5 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2013 am 20.02.2013

Ein Blick in den Coaching-Dschungel

Das Psychotherapeutenjournal, die auflagenstarke Mitgliederzeitung aller approbierten und verkammerten Psychotherapeuten, behandelte in seiner Nummer 2/2012 die Frage, ob Coaching Beratung oder Therapie sei, und in welchem Ausmaß diese Tätigkeit psychotherapeutische Kompetenzen erfordere. Die zahlreichen Leserbriefe zeugten von einer großen Meinungsvielfalt und vielen Unklarheiten über das Berufsbild des Coachs. Deutlich machten die Beiträge aber auch, dass nur wenige über den Tellerrand der eigenen Profession hinaus schauen und mehr Vernetzung der einzelnen Berufszweige notwendig ist, um Qualitätsverbesserungen zu erzielen.

Ein Wirtschaftssoziologe behauptete kürzlich sogar, dass der Begriff „Coaching“ wegen des Wildwuchses und der in dieser Branche besonders aktiven Scharlatane „verbrannt“ sei und besser vermieden werden solle. Auch wenn der Begriff sicher nicht zu ändern ist – solide Qualitätskriterien mit präzisen Aufgaben- und Zielbeschreibungen konnten bisher nicht gefunden werden.

Ein zentrales Problem besteht in der Abgrenzung des Coachings zu Beratung, Mediation, Training oder Personalentwicklung. Aber schon 2008 hatte eine von der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) in Auftrag gegebene Studie präzise auf die Qualitätsprobleme dieser Branche hingewiesen und Professionalisierungsempfehlungen gegeben. Im Jahr 2010 hat der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) nach einem fünfjährigen Beratungsprozess ein eigenes Coaching-Zertifikat verabschiedet. Im Jahr 2011 hat der Fachverband für Supervision praktische Hinweise zur Unterscheidung von Supervision und Coaching vorgelegt. Weil jedoch über 20 Coaching-Verbände in Deutschland um die Marktherrschaft konkurrieren und eigene Zertifikate verleihen, fehlen den Ratsuchenden verlässliche Kriterien. Hier füllt die „Checkliste für Auftraggeber und Klienten“ des DBVC eine Lücke.

Ein Fallbeispiel aus der Praxis

Erfahrungen wie die folgend dargestellte werden von kirchlichen und staatlichen Sekten- und Weltanschauungsbeauftragen nicht selten gemacht. Es handelt sich dabei um einen verfremdeten Auszug einer Nachricht, die uns freundlicherweise zur Veröffentlichung freigegeben wurde:

„… Ihr kritisches Informationsmaterial hat mich vor größerem Schaden bewahrt und mir die Kraft gegeben, mich gegen höchst intensiv manipulativen Kontakt mit solch einem beschriebenen charismatischen Coach zu wehren und das Coaching nicht wie geplant dieses Wochenende in S. zu beginnen. Diese individuellen Coachings sind sozusagen die Einstiegsdroge zum gesamten Coaching-System dieses Anbieters und spielen mit den Sehnsüchten der Menschen, indem sie den Interessenten massiv schmeicheln, um ihn sozusagen als Freund zu gewinnen, der später Kunde wird. Nach meiner Erfahrung ist das Gehirnwäsche und Manipulation in massiver Form! Ob dieses Training zur bekannten, aus den USA stammenden Sekte gehört, weiß ich nicht.

Das gesamte System stammt aber aus Amerika und es ist gut möglich. Bitte warnen Sie die Leute weiterhin sofort und ganz deutlich, sich unter gar keinen Umständen auf ein fragwürdiges Coaching einzulassen mit derartigen Heilsversprechen. Und sollte schon eine psychische Abhängigkeit existieren, sollte ganz schnell psychologische Hilfe bei einem neutralen Profi oder Freunden eingeholt werden. Gefährlich sind besonders die individuellen Coaches, die anscheinend unabhängig arbeiten. Es gibt auch günstige Einzelkurse zum Einstieg mit verlockenden Titeln und das System dockt direkt an den unerfüllten Sehnsüchten an.

Zum Beispiel an dem meist unerfüllten Wunsch, einmal schmeichelhafte Worte zu hören und gelobt und anerkannt zu werden und einen glamourösen Freund zu haben, der einem unterstützend und die eigenen Potentiale aktivierend zur Seite steht – anscheinend! Das wird aber nur vorgespielt! Mein Glück war, das erkannt zu haben und dem Coach das unmittelbar zu verstehen gegeben zu haben, worauf sie die Kommunikation mit einer kurzen Mail umgehend abbrach. Mit herzlichen Grüßen, xxx“

In fragwürdigen Coachings wird das Erlernen bestimmter Techniken versprochen, die dazu befähigen sollen, eigene Ziele durchzusetzen und Glück, Erfolg und Reichtum zu erwerben. Derartige Seminare entfalten ihre Wirksamkeit durch eine brisante Mischung aus feinfühlig gesteuerter Gruppendynamik und unreflektierten Parolen des positiven Denkens. Häufig wird unterschätzt, dass ein soziales System durch die Anwendung weniger Methoden stark beeinflusst werden kann und der oder die einzelne unter einem massiven Konformitätsdruck geraten kann. Auf dem florierenden Coaching-Markt werden darüber hinaus zahlreiche Versprechen des positiven Denkens verbreitet, die schnell in eine problematische Machbarkeitsideologie umschlagen können.

Schwarze Schafe erkennen

Das Perfide bei einer „Beratung“ nach dem Motto „Alles ist möglich, wenn man nur will!“ sieht Christopher Rauen zu Recht in der Schuldzuweisungs-Falle: „Ein Misserfolg kann scheinbar eindeutig zugewiesen werden. Der Klient ist schuld, er hat nur nicht genug gewollt. Somit ergibt sich die Notwendigkeit, sich noch mehr Mühe zu geben und noch mehr Beratung in Anspruch zu nehmen.“ Er hat einige hilfreiche Merkmale aufgelistet, die auf mangelnde Authentizität und Reflexionsvermögen eines Coaching-Anbieters hinweisen und als Ausschlusskriterium für ein zweifelhaftes Seminar dienen können:

  • Erfolgsversprechen bzgl. Perfektionsphantasien
  • Überidealisierungen und Schönungen
  • Vereinfachungen, Ausklammern von Mehrdeutigkeiten
  • Machbarkeitsideologien und vorgetäuschte Konfliktfreiheit

Die Grenzen zwischen einem fachlich begründeten Vorgehen und ideologischer Beeinflussung sind fließend. Coaching kann helfen, Kommunikationsprozesse zu fördern, Strukturen zu klären und Entwicklungsprozesse anzustoßen. Eine fachlich begründete Beratung hat dabei immer ein klar begrenztes und erreichbares Beratungsziel im Blick. Demgegenüber versprechen viele Coaching-Angebote, optimale Selbstentfaltung und Selbst(er)findung möglich zu machen und teilweise auch existentielle Lebensfragen beantworten zu können.

Ausblick

Der Beratungs- und Coaching-Boom hat dazu geführt, dass sich auf diesem Gebiet viele schwarze Schafe tummeln – Anbieter, die über keine fachlichen Qualifikationen verfügen und mit überzogenen Versprechungen werben. Mehr Forschung, verbandsinterne Qualitätskriterien und vor allem Supervision tragen zu einer höheren Professionalisierung und Abnahme des Wildwuchses bei.

Literatur

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