Der erste Teil des Doppelten Dreiklangs (Schritt 1 bis 3) besteht aus einer umfassenden Auftragsklärung und einem Authentizitäts-Check, der sich aus folgenden Bestandteilen zusammensetzt:
- der aktuelle Anlass (meist in Form eines „Pain Point“)
- das persönliche Anliegen des Klienten (im Sinne von „Ich möchte … erreichen“ / „Ich will erwirken, dass …“)
- daraus abgeleitet die konkrete Vorgehensweise (als SMARTe Zielvorgabe)
Schritt 1, der aktuelle Anlass, beinhaltet eine möglichst faktenbasierte Beschreibung der Situation. Wie genau gestaltet sich die Sachlage? Wer ist involviert? Was genau ist der aktuelle Stand? Klienten kommen oftmals deshalb ins Coaching, weil bestimmte Situationen oder Prozesse derzeit nicht sonderlich erfreulich verlaufen oder unklar sind. Meistens handelt es sich somit um die Bearbeitung eines „Pain Point“, einer als schwierig erlebten beruflichen Situation.
Schritt 2, das persönliche Anliegen, lässt sich am besten mit dem Satzanfang „Ich möchte … erreichen“ / „Ich will erwirken, dass …“ erarbeiten. Folgende persönliche Anliegen wurden beispielsweise im Rahmen einer Führungskräfteentwicklung auf der Ebene der Teamleitung generiert:
- Ich möchte mich mehr um die Service-Techniker kümmern, die mehrmals im Jahr wochenlang im Ausland Anlagen montieren.
- Ich will für mich wieder mehr Work-Life-Balance erleben.
- Ich will erwirken, dass die beiden Teams sich an einen Tisch setzen und das Problem konstruktiv in Richtung Lösungsoptionen bearbeiten.
- Ich möchte, dass die neu gegründete Abteilung sichtbar und unsere Arbeit im Unternehmen als wertvoll verstanden wird.
Schritt 2 ist somit eher wie ein Slogan zu gestalten und klar abzugrenzen vom nächsten Schritt.
Schritt 3 konkretisiert eine mögliche SMARTe (spezifisch, messbar, angestrebt, relevant, terminiert) Vorgehensweise, um das persönliche Anliegen aus Schritt 2 in konkrete Handlungen zu übersetzen (Limpächer & Limpächer, 2015). Die Unterscheidung von Schritt 1, 2 und 3 sei an dieser Stelle an einem oft zitierten Alltagsbeispiel erläutert:
Sollte in den letzten Jahren aufgefallen sein, dass die Weihnachtstage jedes Jahr wieder alles andere als zutiefst erholsam verlaufen (Pain Point), ließe sich das wohlbegründete persönliche Anliegen ableiten: „Dieses Mal möchte ich schöne Weihnachten mit viel Erholung haben.“ Dieses hier so formulierte persönliche Anliegen ist wohlgemerkt noch keine SMARTe Zielvorgabe oder Vorgehensweise.
Als solche ist zu prüfen und danach zu planen, ob man eher der Typ ist, der für erholsame Weihnachtstage komplette zwei Wochen in die Sonne flüchtet, sich lieber wenige Tage auf einer einsamen Skihütte einquartiert oder ein festliches Familientreffen für alle organisiert. Wie sich ein persönliches Anliegen konkret in die Tat umsetzen lässt, kann somit sehr unterschiedliche Planungserfordernisse nach sich ziehen.
Ist die konkrete Bearbeitung von Teil 1 des Doppelten Dreiklangs abgeschlossen, folgt Teil 2 (Schritt 3 bis 5). Dieser stellt in der Gesamtbetrachtung eine Überprüfung dar, um eine wohldurchdachte, gut geplante und zielführende Vorgehensweise mit der eigenen Rollenzuweisung (Möglichkeiten, Pflichten und Grenzen) abzugleichen und das eigene Antizipationsvermögen miteinzubeziehen. Hierbei wird Schritt 3 (die SMARTe Zielvorgabe und Vorgehensweise) gegengeprüft:
- die konkrete SMARTe Zielvorgabe / Vorgehensweise
- die im Rahmenkontext des Coaching-Anlasses (z.B. im Unternehmen) eingenommene und einzunehmende Rolle
- die antizipierten Auswirkungen auch im Sinne der Erfolgswahrscheinlichkeit
Der zweite Dreiklang dient somit dem Rollenabgleich und der Überprüfung der Zielvorgabe mit folgenden Schritten:
Schritt 4, Rolle, prüft die Passung des vom Klienten als Ziel formulierte, geplante Vorgehensweise mit dessen eigener, unternehmensinternen Rolle: Darf oder muss dieses Vorgehen im Sinne der eingenommenen Organisationsrolle in Umsetzung gebracht werden?
Schritt 5, antizipierte Auswirkungen, zeigt auf, welche Auswirkungen vermutlich zu erwarten sind (das Konzept der antizipierten Auswirkungen von Gunther Schmidt, 2015).
Jeder Schritt des Doppelten Dreiklangs fordert vom Coach eine hohe Beratungskompetenz und Aufmerksamkeit: Wo formuliert der Klient mit dem nötigen inneren Abstand? Wo erscheint er zunächst kraft- und ratlos, wofür fehlen ihm anfangs die Worte? Welche Emotionalität herrscht beim Klienten vor? Inwieweit ist diese eher dienlich bzw. hinderlich? Und welche Vorgehensweise passt gleichermaßen zur Persönlichkeit des Klienten und seiner unternehmensinternen Rolle?
Des Weiteren erfordern das Durcharbeiten und die Reflexion entlang des Doppelten Dreiklangs bei jedem einzelnen Schritt alle als professionell zu bezeichnenden Coaching-Kompetenzen wie z.B. Pacing and Leading, systemische Fragekompetenz (offene und zyklische Fragen), Perspektivenwechsel, Abprüfen von Stimmigkeit und Notwendigkeit mittels Skaleneinsatz (z.B. Meier, 2004), emotionales Selbstmanagement mittels PEP® (Bohne, 2016) oder ZRM (Storch & Kuhl, 2013) oder hypnosystemische Verfahren wie Metaphern-Arbeit oder das Aufsuchen des inneren sicheren Ortes.
Der Klient war ein junger Doktorand in einem technisch orientierten, großindustriellen Unternehmen. Er nahm, zusammen mit einem weiteren Doktoranden, an einem Weiterbildungs-Workshop für Trainees teil. Im Zuge dieses Workshops erfolgte die Bearbeitung des Doppelten Dreiklangs im Rahmen einer Coaching-Sequenz.
Der zweite Doktorand hatte vor Kurzem das Handtuch geworfen und die Doktorarbeit unvollendet abgebrochen. Der Austritt aus dem Unternehmen und der damit verbundene Verlust von Arbeitsplatz und aktueller Doktorarbeit standen unmittelbar bevor.
Der zu beratende Klient war mit seiner Betreuungssituation als Doktorand alles andere als zufrieden. Die im Raum stehende Frage, ob sich die eigene Doktorarbeit wird fertigstellen lassen, löste (auch angesichts des Scheiterns des Kollegen) große Verunsicherung und Frustration aus. Die Vorgehensweise unter Anwendung des Doppelten Dreiklangs:
In einem ersten Schritt formulierte der Doktorand den eigentlichen Anlass, den Pain Point seiner Situation. Gemeint sind damit situationsbeschreibende Tatsachen und erlebte Schwierigkeiten, die beim Klienten die nicht gerade hilfreichen Emotionen wie Frustration, Angst und Unsicherheit auslösten. Folgendes kam bezüglich seiner Doktorarbeit und des unternehmensinternen Betreuers zusammen:
- schlechte Betreuungssituation
- Betreuer lässt mich links liegen
- unklare Perspektive
- mangelndes Feedback und fehlende Wertschätzung
Der nächste Schritt verlangt das klare Ausformulieren des eigenen, persönlichen Anliegens bezüglich des „Pain Point“-Anlasses. Wie in jedem Beratungsprozess ist dem Ausformulieren des persönlichen Klienten-Anliegens hohe Aufmerksamkeit zu widmen. Der Anliegen-Satz ist in der Regel das Ergebnis eines längeren Reflexionsprozesses. Nach einigen „Wording-Anläufen“ und Prüfschleifen durch den Coach lautete das Anliegen wie folgt: „Ich möchte bei meinem Betreuer mehr Detail-Interesse für meine Arbeit und mehr Besprechungszeit erwirken.“
Als nächstes erfolgte die SMARTe Ziel-Ausarbeitung des benannten Anliegens. Basierend auf der oben genannten Aussage („Ich möchte bei meinem Betreuer mehr Detail-Interesse für meine Arbeit und mehr Besprechungszeit erwirken.“) und gekoppelt an seine bisherigen Erfahrungen im Unternehmensfeld, hatte der Klient folgenden Handlungsplan abgeleitet:
- Ab Kalenderwoche X werde ich alle zwei Wochen immer dienstags um 14:30 Uhr einen Regelbesprechungstermin mit meinem Betreuer einplanen.
- Ich übernehme die Agenda-Verantwortung dahingehend, welche Klärungsbedarfe, Inhalte und sonstigen Fragen auf der Tagesordnung zu stehen haben und welche weiteren Ansprechpartner miteinzubeziehen sind.
- Daraus abgeleitet ergeben sich Abstimmungen schon im Vorfeld dieses eigentlichen Termins, die ich in meinem Arbeitsablauf einplane und durchführe.
- Sollte mein Betreuer einmal terminlich verhindert sein, kümmere ich mich um einen Ersatztermin noch in derselben Woche.
- Zufriedenstellend wäre für mich, wenn zukünftig mindestens 70 Prozent dieser von mir gut vorbereiteten Besprechungen tatsächlich stattfänden.
Der Klient dachte bei Betrachtung des Doppelten Dreiklangs darüber nach, ob seine Doktoranden-Rolle aus Sicht des Unternehmens nicht sogar beinhaltet, sich in dieser Konkretheit selber um Besprechungszeiten und -inhalte zu kümmern. Das SMARTe Ziel und Vorgehen hat er für sich als absolut rollenadäquat bezeichnet.
Die antizipierten Auswirkungen und Erfolgsaussichten mittels dieses (im SMARTen Ziel festgelegten) Vorgehens bewertete der Klient aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen mit seinem Betreuer als absolut gegeben. Der junge Mann war sich sogar sehr sicher, dass von ihm eigeninitiativ und regelmäßig eingeplante Termine und gut vorbereitete Inhalte bei seinem Betreuer sehr erwünscht sein würden.
Nach seiner Einschätzung gefragt, mit wie viel Prozent er davon ausgeht, dass das geplante Vorgehen erfolgreich sein wird (= die Frage nach den antizipierten Auswirkungen), sagte er: „Mindestens 80 Prozent“. Am Ende des Denkprozesses nach der Erfolgswahrscheinlichkeit zu fragen, um die antizipierten Auswirkungen zu erkunden, lässt sich unterstützend mit der Theorie der somatischen Marker verknüpfen (Damásio, 1995 & Hüther, 2017).
Es hätte auch sein können, dass der Doktorand pessimistisch antwortet: „Nette Idee, doch das geht mit meinem Betreuer nie und nimmer. Erfolgsaussichten gleich Null“. Das hätte bedeutet: Zurück zu Schritt 2 des Doppelten Dreiklangs und der Suche nach einem Anliegen, das das Verfahren erfolgreicher durchläuft. Hierbei ist ein breites Repertoire systemischer, ressourcen- und kompetenzorientierter Beratungsarbeit erforderlich (z.B. Thum, 2017). Denn der oben definierte Anliegen-Satz lag keineswegs von Anfang an so wohlformuliert vor. Im Gegenteil: Aufgrund einer nachvollziehbaren Emotionalität war der Anliegen-Satz des Klienten zu Beginn: „Ich geig’ meinem Betreuer jetzt echt mal die Meinung, dass das so nicht geht.“ Auch dieses Anliegen ließe sich als SMART formulierter Ziel-Termin ausgestalten. Selbst die Rollen-Legitimation eines solchen Anliegens könnte man mit dem Fokus, „ein kritisches Bottum-Up-Feedback zu platzieren“, vielleicht noch hinbekommen. Spätestens bei der Frage nach den antizipierten Auswirkungen jedoch wird vermutlich ein neuer Denkprozess angestoßen.
Und in diesem Reflexionsprozess liegt auch der große Nutzen des Doppelten Dreiklangs. Es ist gut verstehbar, dass der Doktorand demotiviert war und darüber hinaus auch Ängste bezüglich eines möglichen Verlusts seines Jobs hatte. Doch solange sich das persönliche Anliegen eher in den Themenschwerpunkten „Rache nehmen“, „Anklage erheben“, „Dampf ablassen“ bewegt, gleicht das SMARTe Ziel der Umsetzung eines wenig aussichtsreichen Unterfangens.
Sobald sich ein persönliches Anliegen formulieren lässt, welches Handlungsoptionen mit einer rollenadäquaten, aktiven Einflussnahme auf eine bislang unbefriedigende Situation eröffnet, entsteht in der Regel eine konzentrierte, zielführende Ausarbeitung des weiteren Vorgehens.
Des Weiteren entbindet das Durcharbeiten des Doppelten Dreiklangs im geschützten Beratungsraum nicht davon, bei der tatsächlichen Umsetzung eine Evaluation vorzunehmen: Klappt es innerhalb einer bestimmten Anzahl von Wochen oder Monaten tatsächlich, die angestrebte Besprechungsdichte und -zeit mit dem Betreuer zu realisieren? War das Vorgehen entlang des Doppelten Dreiklangs also tatsächlich erfolgreich?
Der zu beratende Doktorand hat sich dazu entschlossen, in einem „persönlichen Mini-Piloten“ 20 Wochen lang zu prüfen, inwieweit eine Zielerreichung eintritt. In der Gruppe war es schön zu erleben, wie er aus einer gewissen Lethargie und frustrierten bis trotzigen Verunsicherung heraus in einen gut durchdachten Tatendrang kam (mit dem vollen Bewusstsein darüber, welche selbstverantwortlichen und in seiner Organisationsrolle verantwortbaren konkreten Handlungsschritte seine Entscheidung ihm abverlangt).