Das Peak Performance Potential (PPP)-Tool ermöglicht eine sehr systematische Evaluation verschiedener Faktoren, die notwendig sind, überdurchschnittliche Leistungen (Spitzenleistungen) zu erbringen. Es bietet verschiedene Varianten der Bearbeitung (von spielerisch bis systematisch) und bietet mehrere Schnittstellen zu psychologischen Testverfahren. Es kann sowohl in der Gesamtform (aufwendig) wie auch in verschiedenen (bis zu sechs) Teilformen angewandt werden.
Überall dort, wo es um überdurchschnittliche Leistungen (Spitzenleistungen) von Individuen geht, kann dieses Tool zum Einsatz kommen, also zum Beispiel in den Bereichen:
Die Anwendung ist unter anderem in der Phase der Personalauswahl sinnvoll und kann beispielsweise als Ergänzung zu Auswahlgesprächen, strukturierten Interviews und praktischen Aufgaben (Rollenspiele) verwendet werden. Aber auch in späteren Phasen der beruflichen Karriere – zum Beispiel in Kombination mit einer Standortbestimmung wie einem Development Center – kann das Tool gut eingesetzt werden.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit – vielleicht die spannendste – ergibt sich bei Problemen im Performance-Bereich. Wenn trotz guter fachlich-technischer (Wirtschaft) oder körperlicher (Sport) Voraussetzungen die Leistung nicht im gewünschten Maß erbracht wird (im Sport nennt man diese Athleten auch „Trainings-Weltmeister“) bietet sich das Tool geradezu an.
Evaluation des Potenzials zum Erbringen von Spitzenleistungen. Es werden systematisch zentrale Faktoren abgefragt und bearbeitet sowie – wenn gewünscht – zu einem Gesamtbild zusammengefügt.
Das Tool beschreibt sechs zentrale Themenfelder. In jedem dieser sechs Oberthemen gibt es jeweils vier Unterthemen (man kann sich das wie ein Spielbrett vorstellen oder visualisieren; s. Abb. 1):
Es können – je nach Fall – Bearbeitungsvarianten gewählt werden, die sich in Umfang und Verarbeitungstiefe unterscheiden:
Systematisch: Bei der Gesamtform werden die sechs Oberthemen in der Reihenfolge Einstellung, Lernbereitschaft, Ziele, Motivation, Kraft und Störbarkeit bearbeitet. Bei der Bearbeitung der verschiedenen Themenkreise werden dann die vier Unterthemen in der Reihenfolge 1 bis 4 bearbeitet.
Spezifisch: Steht nur wenig Zeit zur Verfügung oder geht es um die Evaluation eines einzelnen Themas (z. B. Einstellung) bietet sich die Auswahl des Oberthemas nach Lust und Laune oder nach bestehendem Interesse an. Die Bearbeitung der Unterthemen erfolgt danach idealerweise wieder komplett in der Reihenfolge 1 bis 4. In einem längeren Coaching-Prozess kann die Bearbeitung einzelner Ober- und/oder Unterthemen auch auf mehrere Coaching-Sessions verteilt werden.
Spielerisch: Hier stehen viele Optionen offen. Beispielsweise die Bearbeitung nach dem Zufallsprinzip (Würfeln). Dazu muss jedoch gesagt werden, dass die jeweils vier Unterbereiche logisch gegliedert sind und die Tiefe der Verarbeitung geringer ist, wenn zum Beispiel in verschiedenen Oberthemen der jeweils dritte oder vierte Unterthemenpunkte bearbeitet wird. Das PPP-Tool darf aber durchaus auch auf diese Weise genutzt werden.
Neben der Wahl des Umfangs und der Verarbeitungstiefe kann auch die Methodik unterschiedlich gewählt werden:
Rein sprachlich: Hier kommt „klassisches Coaching“ im Sinne der fragenden Evaluation von Einstellungen, Denken, Ressourcen und so weiter zum Einsatz. Gerade wenn die Fragen zirkulär werden, wird die Komplexität des Instruments (besonders in seiner Gesamtform) aber fast unüberschaubar.
Vergleichend: Hier werden Skalierungs- und Benchmarking-Elemente kombiniert. Nach der Skalierung des aktuellen und des erwünschten Zustands können zum Beispiel Vergleiche zu den aktuellen Top-Leistungsträgern in der Branche gezogen werden. Es bietet sich auch der Vergleich mit bekannten Spitzensportlern an („Wie würdest Du X skalieren?“).
Testgestützt: Für mehr als die Hälfte der im PPP-Tool verwendeten Unterbegriffe bestehen analoge Kategorien in den psychodiagnostischen Verfahren LMI (Leistungsmotivations-Inventar) und im AVEM (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Einstellungsmuster). Nach der Selbsteinschätzung (und einem eventuellen vergleichenden Benchmarking) kann als dritte Methode also der Vergleich mit einer großen Normstichprobe gesucht werden.
Die Kombination von Bearbeitungsform und Methodik ließe sich in einem Neun-Felder-Quadrat abbilden und macht deutlich, wie vielfältig das PPP-Tool in seiner Einsatzform ist (s. Abb. 2). Sicher sind damit aber noch nicht sämtliche Nutzungs-Varianten beschrieben. Eine kreative Weiterentwicklung durch die Performance-Coaching-Community bietet sich an.
Zum vertieften Verständnis der Anwendung mag ein Beispiel dienen, in welcher ein spezifisches Oberthema (Ziele) vergleichend bearbeitet wird. Es handelt sich dabei um das Coaching eines jungen Leistungssportlers, welcher die in ihn gesetzten Erwartungen noch nicht zu erfüllen vermochte. (Hintergrundwissen: Das Oberthema „Ziele“ sollte in einer frühen Coaching-Phase bearbeitet werden, weil es erfahrungsgemäß deutliche Auswirkungen auf die Bearbeitung der anderen PPP-Tool-Themen hat).
Zielhöhe: Top-Leister formulieren oft (sehr) hohe Ziele. Hier geht es daher darum, nützliche Fragen zur Erfassung der Zielhöhe zu stellen, beispielsweise:
Die vergleichenden Fragen dienen dem Benchmarking:
Eventuell bieten sich auch Skalierungsfragen an:
Als Abschlussfrage eignet sich: „Wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede in den Vergleichen, die Sie gerade bezüglich der Zielhöhe durchgespielt haben?“ Wenn möglich sollten Sie dies vom Klienten auf eine Kernaussage „reduzieren“ lassen; insbesondere dann, wenn das PPP-Tool in seiner Gesamtform bearbeitet wird.
Zielfokus: Top-Leister formulieren Ziele oft (sehr) eng, fokussieren auf nur ein einziges Ziel. Nützliche Fragen zur Erfassung des Zielfokus sind daher unter anderem:
Vergleichende Fragen (Benchmarking) und Skalierungs- oder Abschlussfragen wie im vergangenen Abschnitt beschrieben.
Zielklarheit: Top-Leister formulieren oft (übermäßig) präzise Ziele. Nützliche Fragen zur Erfassung der Zielklarheit sollten daher diesen Aspekt beleuchten:
Vergleichende Fragen (Benchmarking) und Skalierungs- oder Abschlussfragen wie im vergangenen Abschnitt beschrieben.
Zeithorizont: Top-Leister formulieren oft langfristige Ziele. Nützliche Fragen zur Erfassung des Zeithorizonts sind somit dergestalt:
Vergleichende Fragen (Benchmarking) und Skalierungs- oder Abschlussfragen wie im vergangenen Abschnitt beschrieben.
Die vier Aussagen zu Zielhöhe, -fokus, -klarheit und Zeithorizont werden nun zusammenfassend visualisiert (z. B. mittels Pinnwand oder Flipchart). Bei der vergleichenden Form kann es sinnvoll sein, sowohl die Zielaspekte des Klienten wie auch diejenigen der genannten Spitzenathleten zu visualisieren.
Was ist bei diesem Vergleich zu erwarten? Erfahrungsgemäß dürfte sich in vielen Fällen herausstellen, dass die Ziele der Besten höher, enger und klarer sind und einen längeren Zeithorizont haben. Vielen Klienten ist dies nicht im Vorhinein klar, es kann daher zu Aha-Erlebnissen kommen.
Es kann zudem sinnvoll sein, wenn der Coach selbst Interviews mit aussagekräftigen Zitaten von aktuellen Leistungsträgern oder entsprechende Podcasts oder Videotakes (z.B. Google, youtube) zur Verfügung hat, damit auch dann die vier Teilaspekte bearbeitet werden können, wenn von Klienten-Seite keine Vergleiche möglich sind. Dies geschieht aufgrund der recht starken Aufteilung in Unterthemen recht oft.
Beim Thema „Ziele“ ist eine der entscheidenden Spezifitäten des Performance-Coachings (im Vergleich zu vielen anderen Coaching-Interventionen): Wenn die Steigerung der erbrachten Leistungen das Ziel des Coaching ist, dann sollte die Auseinandersetzung mit den Zielen der Besten im Zentrum stehen. Die vom Klienten formulierten Ziele sind zwar die Ausgangsbasis, nicht in allen Fällen aber auch der Zielpunkt.
Auch in der Wirtschaft bieten sich zahlreiche Beispiele von Top-Leistern an, da in den letzten Jahren die Anzahl der Interviews mit Wirtschaftsführern in Zeitungen, Zeitschriften und Fernseh-Sendungen zugenommen hat. Gleiches gilt auch für Biografien, welche oft eine Fülle von wertvollen Aussagen enthalten.
Dies ist der vielleicht intensivste Teil in der vergleichenden Nutzung des PPP-Tools, denn hier geht es darum, die erkannten Unterschiede zu bewerten. Dabei steht in erster Linie eine Bewertung im Zentrum, welche öffnend wirkt. Wer hier als Coach über die Ziele von Top-Leistern ebenso staunen mag, wie über diejenigen des Klienten, ist gut bedient. Ziel des Austauschs ist es, neue Welten zu öffnen – die Amerikaner nennen das „think big“.
In dieser Phase dürfte die „Ziel-Landkarte“ des Coachs eine mitentscheidende Rolle spielen. Supervisionen von Coachs, welche in diesem Bereich arbeiten, zeigen öfters, dass die nicht dem Durchschnitt entsprechenden Zielvorstellungen von Top-Leistern auch an den Coachs nicht spurlos vorbei gehen. Es empfiehlt sich deshalb eine vorherige Auseinandersetzung mit dem Thema (Venzl, 2010).
Es liegt auf der Hand, dass die Bewertung des Coachs nicht im Zentrum steht, sie darf jedoch auch nicht fehlen. Gerade dann, wenn sich der Klient schwer tut, die Unterschiede auf Ziele bene als relevant für die Leistungserbringung zu erkennen, ist die Rolle des Coachs wichtig. Die neutrale Beschreibung des Sachverhalts oder der vorhandenen Unterschiede und die Formulierung der Hypothese, dass die Unterschiede auf Zielebene zu Unterschieden auf der Leistungsebene führen können, sind hier von hoher Relevanz.
Das Herausarbeiten der Konsequenzen basiert auf den Kernaussagen der ersten Phase einerseits (Abschlussfragen) und aus den in der zweiten und dritten Phase gewonnenen, vergleichenden Erkenntnissen andererseits. Erfahrungsgemäß lohnt hier wieder eine Visualisierung, denn die Thematik ist recht komplex.
In den meisten Fällen dürfte die Konsequenz nicht in einer konkreten Veränderung („Ich setzte mir höhere Ziele“), sondern in einer vertieften Reflexion der Themenkreise liegen. Zielveränderungen lassen sich nicht verordnen, sie müssen „reifen“. Es kann daher nützlich sein, dem Klienten die im Coaching erarbeiteten Visualisierungen fotografisch zur Verfügung zu stellen.
Es empfiehlt sich zudem, die (eventuell neu) formulierten Ziele schriftlich festzuhalten. So ist der Vergleich mit den Aussagen der Top-Leister stichhaltiger (1:1).
Für die effektive Nutzung des PPP-Tools (vor allem) in seiner Gesamtform ist ein fundiertes Wissen über relevante Faktoren zur Erbringung von Spitzenleistungen notwendig. Dieses ist zum Beispiel in der Sportpsychologie ein zentrales Thema. In der Arbeits- und Organisationspsychologie wurde das Thema hingegen bisher nicht im gleichen Maß thematisiert. Wertvoll sind zudem fundierte Kenntnisse im Bereich Einstellungen, (Leistungs-) Motivation und in begrenztem Maß auch bezüglich Selbst-Management (Psychohygiene, Selbstkontrolle, Psychoregulation, Stressbewältigung und so weiter). Für eine sinnbringende Nutzung von Einzelfaktoren sind fundierte Kenntnisse in den jeweiligen Teilbereichen nötig.
Für eine testgestützte Nutzung ist die Kenntnis der psychologischen Testverfahren LMI (Leistungsmotivations-Inventar) und AVEM (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Einstellungsmuster) hilfreich, da die Terminologie des PPP-Tools weitgehend auf den Inhalten und der Terminologie dieser Verfahren aufbaut. So können die Aussagen des Coachs bei der Bearbeitung des PPP-Tools auch besser bewertet und eingeordnet werden, was insbesondere bei den ersten Durchführungen hilfreich sein kann.
Das PPP-Tool entstand etappenweise in einem circa 15-jährigen Entwicklungsprozess. Die vorliegende Endform ist komplex und anspruchsvoll und dürfte meist nicht in ihrer Gesamtform verwendet werden. Gerade im Hochleistungsbereich bietet sie aber so viele Nutzungsmöglichkeiten, Teilversionen und „Spielmöglichkeiten“, dass die vielleicht größte Stärke in der Vielfalt liegt. Trotzdem soll die „spielerische Vielfalt“ nicht darüber hinweg täuschen, dass ein fundiertes Verstehen sämtlicher 24 Teilaspekte notwendig ist, wenn der Coach das Potenzial dieses Tools optimal nutzen will.
Die Durchführung der Gesamtform des PPP-Tools dauert in der rein sprachlichen und/ oder der vergleichenden Variante je nach Bearbeitungstiefe zwischen einer und vier Stunden. Werden ergänzend die beiden erwähnten Testverfahren zugezogen, muss mit circa der doppelten Zeitdauer gerechnet werden.