Dieses Workbook ist die Fortsetzung der beiden Bücher "Coaching und Selbstcoaching" (2008) und "Systemische Organisationsanalyse" (2006) des Autors. Das Buch ist ein echtes Arbeitsbuch mit vielen Grafiken, praktischen Beispielen und Übungen, die offenbar in Seminaren und in der Beratungspraxis entstanden sind oder getestet wurden.
Der Autor ist studierter Psychologe, Volkswirt sowie Transaktionsanalytiker, der aber auch dem systemischen Denken nahe steht.
Entlang von sechs, der Transaktionsanalyse entlehnten Grundfragen der Professionalität werden im ersten Teil, "Coaching und Personenqualifizierung" überschrieben, grundsätzliche Themen behandelt. Entsprechend lauten die Kapitelüberschriften: Menschenbild, Persönlichkeit, Beziehung, Kontextbezug, Veränderung und Methodik. Hier werden Grafiken und Übungen präsentiert, die das Thema aufschließen und verdeutlichen. So werden im zweiten Kapitel die Ich-Zustände der Transaktionsanalyse vorgestellt und konkret erläutert. Eine Liste mit Übungsfragen kann dem Leser helfen, das Modell für sich selbst durchzuspielen und so Plausibilität zu erfahren. Solcherlei Übungen lassen sich also leicht im (Selbst-) Coaching anwenden.
Insofern versteht sich das Buch als Werkzeugkasten, als Tool-Sammlung, die man im Beratungsfall konsultieren kann. Wohl wissend, dass der überwiegende Teil dieser Konzepte der Transaktionsanalyse entstammt. Letzteres mag vielleicht dem Einen oder Anderen einseitig vorkommen, hat aber den Vorteil, dass man hier auf einer klaren gemeinsamen Grundlage operieren kann. Das ist bei anderen Kompendien, die Tools unterschiedlicher Provenienz vereinen, eben nicht der Fall und das wird gelegentlich ja auch kritisiert: Die Leser oder Nutzer würden sich selektiv Tools herausgreifen, ohne den Entstehungskontext zu kennen, zu verstehen oder zu berücksichtigen. Beim vorliegenden Workbook ist das also anders. Zudem kann man noch auf die Vorgängerbücher zurückgreifen.
Ein siebtes Kapitel vergleicht die integrierte Professionalität, also die "Summe" der ersten sechs Kapitel, mit anderen Methoden, beispielsweise mit der Hypnotherapie nach Milton Erickson, der Psychoanalyse nach C. G. Jung und dem systemischen Ansatz. Damit leistet der Autor nicht nur der Multiperspektivität einen Dienst, sondern erleichtert eben auch das Verständnis für den Entstehungs- und Wirkungskontext des einzelnen Konzepts - sowie den Blick auf Alternativen.
Im zweiten Teil "Organisationsentwicklung und Systemqualifizierung" bezieht Günther Mohr sich auf sein Modell der zehn Dimensionen der Systemischen Organisationsanalyse (SystOA), das hier noch einmal in Kurzform dargestellt wird. Das System Organisation wird von ihm in vier, das heißt zwei bipolare Domänen unterteilt: Der Systemstruktur steht die Systembalance gegenüber. Die Systemprozesse werden von der Systempulsation gekontert. Systemstruktur fächert sich in die Bereiche Aufmerksamkeit, Rollen sowie Systembeziehungen auf. Die Systemprozesse bestehen aus Kommunikation, Problemlösung und Erfolg. Die Systembalancen werden durch Gleichgewicht und Rekursivität geprägt. Und die Systempulsation wird in äußere und innere Pulsation unterteilt. Im zweiten Kapitel dieses Teils wird die systemische Organisationsanalyse als Fallbeispiel auf die Private-Equity-Branche angewandt. Kapitel 3 wendet das Konzept schlaglichtartig auf drei Anwendungsbereiche, unter anderem auf eine Führungskräftekonferenz an.
Das kurze vierte Kapitel verwendet die Zoom-Metapher, das fünfte baut das Konzept in eine Coverstory ein: Eine von hiesigen Umständen völlig unbeleckter Marsmensch besucht ein Unternehmen - und macht dabei diverse Beobachtungen. Das sechste Kapitel bringt eine zusammenfassende Schnellanalyse. Und das wieder umfangreichere siebte Kapitel liefert zu den einzelnen zehn Dimensionen vertiefend diverse Tools; beispielsweise eine Übung zu den Grundbotschaften zum "Skript" eines organisationalen Subsystems (innere Pulsation).
Nun folgt eine Übung zu den Tiefenbildern einer Organisation. In diesem achten Kapitel kann man eine zu analysierende Organisation mit dem betriebswirtschaftlich-technischen, dem "familienähnlichen" oder dem Modell der "intelligenten" Organisation vergleichen. Der Fragebogen SCISOA (Scoring Instrument for the Systemic Organisation Analysis) als neuntes Kapitel besteht aus diversen Fragen zu den zehn Dimensionen, die sich dann skaliert beantworten lassen. Die Dimensionsmittelwerte lassen sich errechnen. Das nur eine halbe Seite umfassende zehnte Kapitel "Systemintelligenz schlägt Personenintelligenz" versteht sich als Schlussklammer des Buchs: "Verantwortliche einer Organisation oder eines Unternehmens müssen darauf achten, die Systembedingungen so zu gestalten, dass Personenintelligenz in der Breite wirksam werden kann. Dies ist nicht trivial", beschließt der Autor sein Buch, dem er noch ein Literaturverzeichnis angehängt hat.
Ein sehr praktisches Buch, das man nicht in die Hände eines Anfängers geben möchte. Dafür sind die begleitenden didaktischen Hinweise, die man aus anderen Toolbooks kennt, hier auch zu spärlich geraten. Der erfahrene, und das meint auch mit der Transaktionsanalyse grundsätzlich vertraute Coach hält mit diesem Buch allerdings ein kleines Schatzkistchen in Händen. Die Beschäftigung mit den Tools mag vielleicht auch dazu beitragen, Verständnisfragen zu den ersten beiden Büchern zu klären. Und es zeigt auch auf, dass der Blick von Klienten, Coachs und Auftraggebern in Unternehmen nicht zu eng gestellt sein darf auf die einzelne Person und "sein" Problem; die Entwicklung des Einzelnen im Coaching und die Entwicklung des Ganzen in der Organisationsentwicklung sind zwei Seiten einer Medaille.
Thomas Webers
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