Cover: Systemische Interventionen.
Arist von Schlippe, Jochen Schweitzer

Systemische Interventionen.

Rezension von Thomas Webers

4 Min.

Systemisches Denken und Managen ist schon lange ein Trend. Gar viele Berater heften sich entsprechende Etiketten an. Und nicht minder zahlreiche Kunden fragen sich, was damit wohl gemeint sein soll. Die aktuelle "Capgemini Change Management Studie" stellt heraus, dass systemisches Denken sich im betrieblichen Alltag bislang nicht wirklich durchgesetzt hat. Die befragten Führungskräfte aus deutschen, österreichischen und schweizerischen Unternehmen loben zwar die ganzheitliche Betrachtungsweise (33 Prozent), doch was die Transparenz des Wirkungsgefüges betrifft, sinkt die Zustimmung dann auf nur noch 15 Prozent. Lediglich acht Prozent schätzen die Systematik in der Vorgehensweise.
Solche Zahlen sollten nachdenklich machen. Und es tröstet auch nur teilweise, dass im Jahr 2008 die Anerkennung der systemischen Therapie als wissenschaftliches Verfahren erfolgte. Unweigerlich fragt man sich, gibt es denn keine guten Bücher zum Thema? Doch, gibt es, zahlreiche sogar. Doch deren Qualität und Referenzrahmen (überwiegend klinischer Bereich) sind recht heterogen. Eine griffig-knappe Darstellung fehlte bislang. Eher drängte sich der Eindruck auf, es wird mit zunehmender Komplexität komplizierter - oder manchmal auch nebulös. Enger auf Coaching fokussiert wird es, denn etliche systemische Interventionen zielen auf größere Kontexte wie die Organisationsentwicklung, zunehmend übersichtlicher im Befund. Was die beiden Autoren mit ihrem kleinen Büchlein hier abliefern, ist, auf wenn nicht "Coaching" im Titel steht, eine echte Bereicherung für die Praktiker.
Die beiden Autoren sind alte Hasen im Feld. Sie haben schon das zweibändige Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung und anderes herausgegeben. Sie liefern mit diesem kleinen Bändchen einen übersichtlichen und erhellenden Ein- und Überblick über die systemische Haltung und Interventionsansatz in zehn Kapiteln - eingerahmt von einer Einführung sowie einem Glossar und Literaturverzeichnis.
Schlagwortartig skizzieren sie in der Einführung den systemischen Ansatz in sechs Thesen, um zusammenfassend und Jay Efran & Co. zitierend fortzufahren: "Menschen sind unverbesserliche und geschickte Geschichtenerzähler" - und sie haben die Angewohnheit, zu den Geschichten zu werden, die sie erzählen." Im ersten Kapitel geht es um Prozesssteuerung und Auftragsorientierung. Unfreiwilligkeit und Dreieckskontrakte stehen im Fokus des zweiten Kapitels. Um ein systemisches Verständnis von "Problemen" geht es im dritten, um Genogramm, Organigramm, Systemzeichnung im vierten und um systemisches Fragen im fünften Kapitel. Skulpturen, Aufstellung und andere metaphorische Techniken stehen im Mittelpunkt des sechsten Kapitels - nicht ohne die sogenannten Familienaufstellungen nach Hellinger ausdrücklich kritisch zu werten. Das siebte Kapitel behandelt das Reframing, das achte das reflektierende Team.
Im neunten Kapitel geht es ausdrücklich um Interventionen im Coaching. Die Arbeit mit dem "inneren Team" sowie dem "Auftragskarussell" werden vorgestellt. Unter "Führungskräfteberatung" wird dezidiert Transition als Problematik behandelt. Das zehnte Kapitel weitet den Blick auf die Team- und Organisationsberatung.
Damit sind alle wichtigen Themen angesprochen worden, die auch im Coaching alle eine Rolle spielen. Insofern ist der dezidierte Coaching-Fokus des neunten Kapitels leicht irreführend. Natürlich können die Ausführungen nicht die ganze Bandbreite und Tiefe abdecken. Etliche Textkästen öffnen beispielhafte Aus- und Einblicke in konkrete Fallgeschichten. Die kompendienartige Darstellung bietet den Tool-Verliebten die Möglichkeit eines systematischen Überblicks und der Einordnung von Interventionen, so dass sich für den einen oder anderen bislang einseitig Ausgebildeten der Blick über den Tellerrand auftun mag. Zugleich verleitet das Büchlein dazu, selbst weiter zu forschen: "Literatur zum Weiterlesen" wird jedes Mal angeführt. So erweist sich das Büchlein als Einstiegsplattform, dem man beispielsweise Simons "Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus" vorschalten und Königswieser/Exners "Systemische Intervention" folgen lassen kann - oder wahlweise andere Literatur; oder man nutzt es als kleines Handbuch und Nachschlagewerk.
Dieses Büchlein gehört in die Hand von Trainees der Beratungszunft, in die von Studenten der Personal- und Organisationsentwicklung, natürlich auch in die der Kunden, der Einkäufer und Personalentwickler. Doch auch manch alter Hase wird sich mit Gewinn des Buchs bedienen, beim Rekapitulieren und Abgleichen der eigenen Praxis. Der Umfang ist kompakt, der Preis außer Konkurrenz und die Anschlussfähigkeit an weitere Bücher hoch. Das Buch hat also eindeutig das Zeug, zur Standardliteratur zu werden - und wird vielleicht das eine oder andere Buch aus den Top-Ten der Coaching-Literatur vertreiben, weil das dem direkten Vergleich mit diesem Kompendium nicht standhält.
Nach oben