"Es ist auffällig, dass das systematische, mit wissenschaftlichen Verfahren gewonnene Wissen zu einem Beratungsmarkt von Supervision und Coaching bisher nur eingeschränkt vorhanden ist", zitiert der Verlag den Herausgeber im Klappentext dieser Veröffentlichung. Und das macht nachdenklich. Ist der wissenschaftliche Forschungsstand nicht per definitionem ein vorläufiger? Sollte es aber als Desideratum verstanden werden, im Sinne dessen, dass mit der vorliegenden Studie eine Forschungslücke geschlossen wird, stimmt es nicht wirklich. Seit 2009 liegen umfangreiche Daten über den Coaching-Markt vor. Die sogenannte Marburger Coaching-Studie hat mit ihrem repräsentativen Charakter (N=1.333) den Erkenntnisstand über das Marktgeschehen nachdrücklich geprägt. Inzwischen liegen mit der Folgeuntersuchung (2011) weitere, umfangreiche Ergebnisse vor. Ergänzen ließe sich dieser Kenntnisstand unter anderem durch die Daten der Untersuchungen von Seiger und Künzli zum Schweizerischen Coaching-Markt.
Die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv), also ein Berufsverband, somit eine "Partei", ein Stakeholder, legt hier Ergebnisse einer explorativen Marktstudie in Berlin (2010) vor. Voraus gegangen war eine ähnliche Untersuchung im Jahr 2008 in Unterfranken. Durchgeführt wurde die Studie vom Bamberger Modus Institut für angewandte Wirtschafts- und Sozialforschung unter der Leitung von Professor Dr. Doris Rosenkranz. Die DGSv unterstützte dabei administrativ - bis hin zur Erfassung der Antwortdaten. Die gesamte Befragung erfolgte schriftlich und in Papierform. Dabei kamen zwei Fragebogen zum Einsatz, einer für Wirtschaftsunternehmen sowie einer für soziale und bildende Organisationen, die einen gemeinsamen Grundstamm an Fragen aufwiesen. Von den 1.410 verschickten Fragebogen kamen aus dem Nonprofit-Bereich 220 (Rücklauf: 27%) und aus dem Profitbereich 91 (Rücklauf: 15%) ausgefüllt zurück.
Und die Ergebnisse? Sie werden in diesem Band dargestellt. Dabei zeigen sich Unterschiede zwischen Supervision und Coaching, die bei genauerer Betrachtung aber auch gleich zahlreiche Fragen aufwerfen. Die zentrale Frage: Werden hier Äpfel mit Birnen verglichen? Es fängt damit an, dass beides unter "Beratung" subsummiert wird. Das könnte man kritisieren, impliziert es doch eine Vergleichbarkeit. Und dann scheinen weitere Setzungen durch, beispielsweise wenn Edelgard Boettner in ihrem Beitrag "Warum eine Marktstudie ( )?" formuliert: "Es fällt jedenfalls auf, dass die Bezeichnung Coaching sich überwiegend im Milieu beratungsferner Berufe durchgesetzt hat ( )" (S. 15). Eigentlich sind Supervision und Coaching das Gleiche, wird hier offenbar angenommen, man nennt es nur in unterschiedlichen Kontexten anders ... Ist das so? Solche Bemerkungen offenbaren politische Positionen! Wenige Sätze zuvor hat die Autorin erst festgestellt, dass der Markt für Supervisoren begrenzt ist. Es geht also ums Geldverdienen - und um die Deutungshoheit im Markt. Die Vorstellung, dass Coaching - definitiv - etwas anderes als Supervision sein könnte, scheint vielleicht schwer erträglich zu sein für sich als Supervisoren Definierende.
Und das spiegelt sich auch in den Fragebogen. Die Nonprofit-Frage 6 lautet: "Hat ihre Organisation in den letzten 3 Jahren Ihren Mitarbeiterinnen folgende Arten der Unterstützung angeboten? 1. Supervision, 2. Keine Supervision, jedoch (Mehrfachnennung möglich) Coaching, Organisationsberatung, Praxisberatung, Teamentwicklung, Anderes, 3. Nein, weder Supervision noch eine andere Form der Beratung". Der in den Methoden der empirischen Sozialforschung Bewanderte stutzt an dieser Stelle - und hebt die Hand. Vor allem, wenn er dann die anders, nämlich "gleichberechtigt" formulierte Frage im "Parallel"-Fragebogen für Unternehmen bemerkt. Professor Andreas Bergknapp nennt weitere Beispiele in seinem Beitrag "Reflexionen zu ausgewählten Ergebnissen, zur Methodik und zur Weiterentwicklung einer Marktstudie ( )" weiter hinten im Buch, die die Validität der Studie im wissenschaftlichen Sinne grundsätzlich in Frage stellen. Der Leser wundert sich, beides, Studienergebnisse und fundamentale Kritik daran in einem Band vorzufinden. Bergknapp bezeichnet die "Selbstverliebtheit" der Supervisionsforschung als deren blinden Fleck und zieht ein schönes metaphorisches Fazit, dass man schließlich die "Ostereier findet, die man vorher selbst versteckt hat" (S. 60).
Die Studienleiterin Professor Rosenkranz stellt in ihrem Beitrag "Monitoring als Aufgabe der strategischen Qualitätsentwicklung" ein Vielfaches mehr an Fragen als sie dann Antworten gibt. Sofia Bengel, stellvertretende Geschäftsführerin der DGSv, berichtet von den unüberwindbaren Schwierigkeiten, eine repräsentative Stichprobe für die Studie zu definieren.
Nun, wie auch immer, für Forscher ist dieses Buch als Anschauungsmaterial (Fragebogenkonstruktion) interessant. Die Studienergebnisse vermögen den allgemeinen Erkenntnisstand leider nicht qualitativ zu verbessern und taugen daher nicht für die öffentliche Diskussion. In der weiteren Forschung sollten andere Ansätze verfolgt werden. Professor Bergknapp gibt dazu in seinem Beitrag einige Hinweise.
Thomas Webers
coaching@thomas-webers.de