Stellen Sie sich einen Brühwürfel vor. Wenige Kubikzentimeter eines solchen Würfels verwandeln einen halben Liter kochendes Wasser in eine schmackhafte Gemüsebrühe. Dazu ein paar Nudeln und etwas Suppengemüse – eine leckere Mahlzeit. Wie ein solcher Brühwürfel liest sich das Büchlein „OPD-basierte Diagnostik und Intervention im Coaching“ von Heidi Möller und Cord Benecke. Auf wenigen Seiten werden hier sowohl das Raster der OPD, der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik, umrissen als auch Anknüpfungspunkte für das Coaching angeführt. Und jetzt kommt der Brühwürfel ins heiße Wasser.
Heidi Möller, Professorin für Theorie und Methodik der Beratung an der Universität Kassel, leitet dort den postgradualen Masterstudiengang Coaching, Organisationsberatung, Supervision. Sie ist Psychoanalytikerin, Lehrtherapeutin, Supervisorin, Organisationsberaterin und Coach und bringt langjährige Erfahrung als Beraterin in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheitswesen, psychosoziale Dienstleistungsunternehmen und öffentlicher Dienst ein. Cord Benecke lehrt ebenfalls in Kassel und hat dort eine Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie inne. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Psychotherapieforschung, kognitive Neurowissenschaften sowie Theoretische und Angewandte Psychoanalyse.
Das Buch umfasst gerade einmal 93 Seiten und ist kleiner als DIN A5. Zur Einordnung: „Die OPD basiert auf einem halbstrukturierten Interview und ermöglicht die […] Erfassung psychodynamischer Kernkonstrukte wie Beziehungsmuster, unbewusste Konflikte und strukturelles Funktionsniveau.“ (S. 9) In vier Kapiteln wird das Verfahren der OPD vorgestellt und auf Nahtstellen zum Coaching hingewiesen. Das vierte Kapitel fasst das Gesagte im Fazit zusammen. Die vier Kapitel werden vom Geleitwort „Zu dieser Buchreihe“ und dem Literaturverzeichnis mit acht Seiten Umfang gerahmt.
Das Kapitel „OPD-basierte Diagnostik im Coaching“ arbeitet mit tabellarischen Überblicken sowie mit grau unterlegten Kästchen mit Kernsätzen zu den Konflikten oder motivationalen Themen. Schwerpunkt des Buches sind mit 43 Seiten „Die sieben OPD-Konflikte im Coaching“, wobei zu jedem Konfliktfeld die Ausprägung am Arbeitsplatz, Fallbeispiele mit abgesetzter Schriftart, Zielstellung und Diagnostik sowie wesentliche Arbeitsprinzipien dargestellt werden. Je nach Art des Konflikts wird das Fallbeispiel ausführlicher oder auch kompakter gehalten. Die „Wesentlichen Arbeitsprinzipien“ bündeln die Aspekte aus dem Fall und führen methodische Arbeitsvorschläge für das Coaching an. Dabei werden Methoden lediglich skizziert, ohne sie im Detail auszuführen.
Möller und Benecke stellen das seit den 90er Jahren für den Einsatz in der Psychotherapie entwickelte Instrumentarium der OPD sehr kompakt und verständlich vor. Es kann auf dieser Basis mit Hilfe der OPD-Wahrnehmung gelingen, Muster im Verhalten der Klienten zu erkennen. Das Buch bietet also praktische Hilfe für das szenische Verständnis im Coaching. Für die erkannten Verhaltensmuster weisen die Autoren auf geeignete Interventionsrichtungen hin. Das Buch benennt zudem schematisch mögliche Ziele für das Coaching.
Zugleich steht der Coach vor der Herausforderung, sich die Wahrnehmung von Klienten mit Hilfe von OPD anzueignen und passgenaue Schlussfolgerungen zu ziehen. Dazu braucht es eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Psychodynamik im Allgemeinen und der OPD im Besonderen, z.B. mit Hilfe weiterführender Literatur oder besser noch einer diesbezüglichen Fortbildung. Leider fehlt dem Buch Online-Material für die praktische Coaching-Arbeit.
Fazit: Die Leistung von Möller und Benecke ist äußerst bemerkenswert. Ihnen gelingt es, den Übertrag und Mehrwert von OPD für das Coaching sehr anschaulich und fachlich ausgereift herauszuarbeiten. Sie verknüpfen Fallbeispiele mit ihrer Expertise und eröffnen damit dem Coach – wie im ersten Satz des Buches versprochen – neue Positionen und einen psychodynamischen Blick. Eine Empfehlung mit Michelin-Stern für diesen Brühwürfel. Guten Appetit.
Torsten Ferge
Coach und Supervisor
www.ferge-coaching.de