Cover: Diversity in Supervision, Coaching und Beratung.
Samira Baig

Diversity in Supervision, Coaching und Beratung.

Rezension von Susanne Ahlers

5 Min.

Das Buch ist ein Novum im deutschsprachigen Raum. Diversity und Coaching werden bisher kaum zusammen betrachtet. Auch Diversity Management (oder Managing Diversity) führt in Deutschland immer noch ein Mauerblümchen-Dasein. Dieses Konzept, das aus den USA kommt, will in der Arbeitswelt alle Personen in ihrer Vielfalt anerkennen und wertschätzen. Unterschiedlichkeit soll gesehen und alle Menschen einbezogen werden. Im europäischen Raum sind die wichtigsten Kategorien in diesem Zusammenhang: Geschlecht, Ethnie/Herkunft, Religion, Alter, sexuelle Orientierung und Behinderung. Diese finden sich auch im deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wieder.
Die Herausgeberinnen verknüpfen Theorie und Praxis von Diversity (Management) mit Coaching, Supervision und Beratung. Das Buch startet mit einer Einführung, dann folgen fünf Beiträge, die unterschiedliche theoretische Zugänge zum Thema Diversity vorstellen und mit Coaching, Supervision und Beratung verbinden. Im letzten, dem siebten Kapitel werden die vorgestellten theoretischen Perspektiven in Form eines Tools zusammengeführt. Dieses Tool "Diversity reflektiert" wendet sich an alle, die beraten. Mit diesem praktischen Tool soll sensibles Reflektieren auf Diversity ermöglicht werden. Ausgangspunkt der Fragen sind sozialpsychologische und systemische Reflexionen. Das Instrument ist außerordentlich umfangreich, aber es ist durchaus möglich und auch sinnvoll, dass sich die Leserinnen und Leser die für sie wichtigen Fragen heraussuchen.
Die beiden Herausgeberinnen führen in das Thema Diversity gekonnt ein. Sie sprechen konkret die Zielgruppe Coachs, Supervisorinnen und Supervisoren sowie Beraterinnen und Berater an. Zunächst zeigen sie die Relevanz vor allem der Kategorien Geschlecht und Ethnizität für die österreichische Gesellschaft auf. Zwar unterscheiden sich die rechtlichen Grundlagen von den bundesdeutschen, in diesem Kontext ist das allerdings nicht entscheidend. Surur Abdul-Hussain und Samira Blaug gehen ausführlich auf "diversitykompetente Supervision" ein, aber leider nur sehr kurz auf Coaching. Allerdings übertragen sie ihre Verbindung von Managing Diversity mit Supervision auf Coaching. Ein kleiner Wermutstropfen ist aus Sicht der Rezensentin deren Coaching-Definition. Coaching - analog zur Definition der Österreichischen Vereinigung für Supervision (ÖVS) - wird nämlich nicht als eigenständige Beratungsform, sondern "nur" als "spezielle Form der Supervision" betrachtet, die beispielsweise in "kurzen Trainingssequenzen" Skills vermittelt. Trotzdem machen die Autoren überaus anschaulich, wie Diversity-Kompetenz im Coaching die Interventionsfähigkeit unterstützen kann und dazu beiträgt, unbewusste Strukturen aufzudecken. Letztlich führt diversitykompetentes Coaching zu mehr Arbeitszufriedenheit für Coach und Klient, stellen sie fest.
Im zweiten Beitrag von Samira Baig geht es um Stereotype und Vorurteile aus sozialpsychologischer Sicht. Diversity oder Unterschiedlichkeit von Menschen bedeutet nicht nur Harmonie, sondern oft Konflikte. Die Autorin geht den Fragen nach, wie Menschen sich wahrnehmen, warum Menschen andere benachteiligen, die ihnen unähnlich sind und was einen konstruktiven Umgang miteinander begünstigt. In ihrer Annäherung an das Thema ignoriert sie die gesellschafts- und machtpolitischen Einflüsse auf Minderheiten nicht und unterstreicht ihre Kernaussagen im Text: "Diskriminierung bedeutet nicht nur offene Benachteiligung von Fremdgruppen, sondern auch eine Bevorzugung der Eigengruppe!" (S. 75).
Sabine Eybl und Siegfried Kaltenecker zeigen auf, wie die Systemtheorie der diversitätsbewussten Beratungsarbeit nutzt. Sehr anschaulich verknüpfen sie Theorie mit praktischen Beispielen und Interventionen. Dabei wird unter anderem deutlich, dass systemische Organisationsmodelle für mehr Klarheit in der Beratungsarbeit sorgen können und helfen, die Komplexität beim Management mit diversitätsbedingten Konflikten zu verstehen. So kann auch die Grundlage für einen respektvollen Umgang mit den "Anderen" geschaffen werden.
Die Cultural Studies stehen bei Gabriele Bargehr im Mittelpunkt. Die Autorin versteht Cultural Studies als transdisziplinäre Verschränkung von "Feminist, Gender, Queer, Postcolonial, Black und Critical Whiteness Theories" (S.122), die sie in ihrem Beitrag vorstellt. Die Kategorien zusammen zu betrachten, sieht sie als notwendige Voraussetzung, um Diversity produktiv in Beratung einzusetzen.
Norbert Pausers Ausgangspunkt bilden die Disability Studies. Er rückt dabei die Konzepte Integration und Inklusion ins Zentrum. Beide Konzepte werden inzwischen oft gemeinsam diskutiert insbesondere, weil der Ansatz des Diversity Managements die Gefahr birgt, ausschließlich die aktuelle wirtschaftliche Effizienz zu sehen und die individuelle und gesellschaftliche Komponente aus dem Blick zu verlieren. Die Gefahr für Menschen mit Behinderungen, dabei nicht wahrgenommen zu werden, ist also groß. Der Disability-Ansatz versteht Behinderung als soziales Konstrukt. Dies bedeutet für Beratung wiederum eine permanente Reflexion der eigenen Praxis und Hinterfragen der "Ein- und Ausschlüsse, die individuell oder organisational bewusst oder unbewusst (re-) produziert werden" (S. 164).
Im sechsten Kapitel befasst sich Surur Abdul-Hussain mit den Grundlagen integrativer Theorie und ihrer Bedeutung für den Umgang mit Diversität. Ihr gelingt es durchgehend, die theoretischen Ansätze mit der praktischen Arbeit zu verknüpfen. Dabei macht sie deutlich, wie notwendig die theoretische Auseinandersetzung ist, wenn Beratende eine sinnvolle und diversitykompetente Arbeit anbieten wollen.
Fazit: Das Buch lohnt sich als Einstieg für alle, die sich fundiert mit dem Thema Diversity und Coaching befassen wollen. Sehr gut ist es allen Autorinnen und Autoren gelungen, Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen. Für die Leserinnen und Leser, die sich dennoch nicht mit Theorie befassen möchten, kann das zusammenfassende Tool Anregungen geben, die eigene Arbeit zu reflektieren. Es ist ein rund komponiertes Buch und lohnt sich, ganz gelesen zu werden, aber es ist durchaus möglich einzelne Kapitel auszuwählen. Last, but not least: Der Einband ist inhaltlich passend und optisch ansprechend: viele bunte und unterschiedliche Eingangstüren.

Susanne Ahlers

ACT! AHLERS COACHING UND TRAINING, Berlin
info@act-ahlers.de
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