Als nicht ganz unwichtige Vorbemerkung sei erwähnt: Das vorliegende Buch versteht sich auf der Titelseite als eine "BORA TeleCoachNetwork-Produktion mit Beiträgen von Ralf Borlinghaus, Maren Kaiser, Thomas Göller, Stephan Josef Dick, Dorothee Bornath, Sabine Engelhardt und Gästen" und ist im Eigenverlag der Bora-Consulting erschienen.
Der Titel des Buches ist etwas irreführend. Denn es geht nicht, wie zu vermuten wäre, um die Nutzung der modernen Medien für Coaching, sondern um Telefon-Coaching, also um ein Coaching-Format, das zum Beispiel in den USA und Australien weit verbreitet ist, in Europa jedoch noch um seine Anerkennung ringt. Unter diesem Aspekt verdient das Buch eine gewisse Aufmerksamkeit.
Die zentrale These von Ralf Borlinghaus und seiner MitstreiterInnen ist, dass im Coaching ein Paradigmenwechsel anstehe, nämlich vom sogenannten "klassischen" Paradigma, dass Coaching Face-to-Face erfolgen müsse, hin zum "Paradigma von Coaching 2.0", dass Coaching vollumfänglich am Telefon stattfinden könne (S. 30). Als Begründung führt der Herausgeber an, dass "ein Coaching-Erfolg am Telefon (
) mit der gleichen Regelmäßigkeit und Wahrscheinlichkeit der Fall ist, wie im PräsenzCoaching auch" (Ebd.). Diese sehr weitgehende Behauptung, für die die Form einer empirischen Tatsache gewählt wird, wird durch Plausibilitätserklärungen, nicht jedoch durch empirische Untersuchungen gestützt.
Die Autoren wagen sich dabei extrem weit vor, indem sie im vierten Kapitel ("Coaching unlimited") versuchen, den Nachweis zu führen, dass es möglich sei, unterschiedlichste, insbesondere auch raum- und körpersensible Interventionen wie beispielsweise diejenigen des Wingwaves-Coachings (S. 217 ff.) oder Aufstellungsarbeit (S. 236 ff.) problemlos per Telefon durchzuführen. Voraussetzung hierfür sei allerdings eine entsprechende Coaching-Qualifikation. In der Auseinandersetzung mit Kritikern von Telefoncoaching meint Borlinghaus deshalb sozusagen "den Spieß umdrehen" zu können, indem er betont, dass im kompetent (!) durchgeführten Telefon-Coaching eine Verdichtung des Coaching-Prozesses erfolgt, sodass sich - wie er in einer Modellrechnung (S. 64) zeigt - die Coaching-Kosten signifikant, nämlich um 40 Prozent, senken ließen. In diesem Sinne meint er mit Blick auf seine eigene Argumentation zusammenfassend feststellen zu können: "Bei der Frage nach den Grenzen von TeleCoaching stellte sich heraus, dass diese weniger in der Eignung des Klienten oder in möglichen Coaching-Indikationen als vielmehr in der Person des Coachs selbst liegen. Das TeleCoaching geht nicht vieler Coach-Kollegen fällt am Ende auf sie selbst zurück" (S. 71).
Nicht zuletzt dieses Fazit macht deutlich, dass Borlinghaus den Bogen hoffnungslos überspannt und damit den vielfältigen Initiativen, die Möglichkeiten der modernen Medien für Coaching zu nutzen, letztlich wahrscheinlich einen Bärendienst erweist. Das ist bedauerlich. Denn nicht zuletzt die vor allem in den USA und Australien langjährig und umfangreich gemachten Erfahrungen mit Telefon-Coaching haben gezeigt, dass es ein sehr ernst zu nehmendes, eigenständiges Coaching-Format ist, das keineswegs nur ein Notbehelf für Präsenz-Coaching ist. Dieser Auffassung sind auch Wissenschaftler wie Anthony Grant und Michael Cavanagh, die in einen 2010 veröffentlichten Aufsatz in "The Complete Handbook of Coaching" (S. 301) darauf hinweisen, dass es trotz des Mangels an empirischen Untersuchungen immer mehr Hinweise ("a growing body of evidence") gibt, dass Telefon-Coaching insbesondere im Bereich von Skill- oder Performance-Coaching sehr wirksam sein kann.
In diesem Sinne weist das Buch von Borlinghaus und seiner MitstreiterInnen trotz der oben aufgezeigten Schwächen prinzipiell in die richtige Richtung. Denn unabhängig von der empirisch noch zu klärenden Wirksamkeit steht eines außer Frage, nämlich der signifikante Kostenvorteil von Telefon-Coaching.
Professor Dr. Harald Geißler
Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
www.online-coaching-lernen.de