Rolf Meier und Axel Janßen leiten ein Institut, das "systemische Management Coachs" (SMC) ausbildet. Besonderes Qualitätsmerkmal ihrer "Hamburger Schule" ist die Unterstützung des selbstorganisierten Coaching.
Die theoretischen Grundlagen, die Basisliteratur, die Techniken des Coaching sowie Fallbeispiele der Ausbildung von Coachs werden in einem 668seitigen, großformatigen und "schwergewichtigen" Standardwerk ausführlich und leserfreundlich dargestellt.
Der konzeptionelle Rahmen lässt sich stichwortartig wie folgt skizzieren: Das zugrunde liegende Menschenbild ist die autonome, selbstverantwortliche Persönlichkeit. Coaching dieser Art unterscheidet sich von Therapien, Trainings und "autoritären Stilen". Ziele sind die Erweiterung von Wahrnehmungen und Entscheidungsfähigkeiten sowie die Erprobung von neuen Handlungsmöglichkeiten. Theoretisches Fundament ist das systemisch-konstruktivistische Denken. Der Konstruktivismus ist eine neurobiologisch begründete Erkenntnistheorie, die belegt, dass wir die Welt nicht wahrheitsgemäß "abbilden", sondern dass wir tagtäglich eigene Wirklichkeiten "erzeugen". Auch die Welten der Ausbilder, der Coachs und der Coachees sind beobachtungsabhängig und damit relativ. Während der Konstruktivismus auf die individuellen neuronalen Netzwerke aufmerksam macht, betont das systemische Denken die sozialen und kulturellen Kontexte unseres Fühlens, Denkens und Handelns. Systemisch-konstruktivistische Schlüsselbegriffe prägen alle Ebenen des Coaching-Modells der "Hamburger Schule". Unsere Wirklichkeitskonstruktion basiert auf Motiven, Bedürfnissen und Werten. Grundlegende Werte des Coaching sind Freiheit, Freiwilligkeit, Ressourcenverfügung und Selbststeuerung.
Dieses Coaching-Modell ist kompetenzorientiert. Schlüsselkompetenzen des Coachees, der Coachs und auch der Ausbilder sind fachlich-methodische Kompetenzen, sozial kommunikative Kompetenzen, Feldkompetenzen, personale Kompetenzen und Handlungskompetenzen. Kompetentes Handeln erfordert Transferleistungen, d.h. die Übertragung des Gelernten auf Praxissituationen.
Diese Kompetenzen erfordern Lernprozesse besonderer Art. Lernen ist - konstruktivistisch betrachtet - ein selbstorganisierter Prozess, der neuronale und kognitive Vernetzungen fördert und Perspektivenwechsel ermöglicht. Nachhaltiges Lernen wird durch die Verknüpfung von Kognitionen, Emotionen und Handlungen unterstützt.
Diese Vernetzung ist charakteristisch für das "MVWK-Modell" der Hamburger Schule, d.h. für den Zusammenhang von Motiven, Werten und Verhalten. Um die genannten Schlüsselkompetenzen zu erweitern wird eine Lernzieltaxonomie vorgeschlagen. Eine Taxonomie ist eine Stufung qualitativ unterschiedlicher Lernebnen, nämlich a) faktisches Wissen, b) kontextbezogenes Anwendungswissen, c) reflexive Selbstevaluation, d) konstruktivistischer Lerntransfer. Unterschieden werden mehrere Coaching-Anlässe und Themen, z.B. Elterncoaching ("Ich möchte meinen Kindern mehr Freiraum geben"), "Führungskraft in turbulenten Strukturen" oder Change-Management-Situationen. Empfohlen wird ein bestimmter Ablaufplan der Coaching-Treffen: 1. Phase "Kontakt und Kontrakt", 2. Phase "Thema- und Zielklärung", 3. Phase "Ressourcenidentifikation", 4. Phase "Entwicklung von Handlungsalternativen". Die Qualität des Coaching wird pädagogisch, aber auch betriebswirtschaftlich kommentiert. Deshalb sind Überprüfungen der Coachingkompetenzen am Ende der Ausbildung von besonderer Bedeutung. Diese Prüfungen können aber nur bedingt die Transferleistungen der ausgebildeten Coachs in der Praxis antizipieren. Ein Qualitätsmerkmal des Coaching ist Veränderung, und zwar der Coachs ebenso wie der Coachees. Dieses "Handbuch" verbindet theoretische Schlüsselbegriffe mit zahlreichen Praxisbeispielen. Es enthält viele didaktisch-methodische Anregungen und einen detaillierten "Ausbilderleitfaden" für ein Modul. Anschauliche Grafiken und Schemata erleichtern eine Strukturierung. Ein ausführliches juristisches Kapitel behandelt die relevanten Gesetze, z.B. zum Datenschutz. Von praktischem Nutzen sind auch die Zertifizierungsvorschläge. Der Hauptteil wird ergänzt durch ein ausführliches, fachlich-kompetentes "Wörterbuch" sowie durch 38 "coachingrelevante Wissensgebiete", z.B. Führungswissen, Konstruktivismus, Marketing, Neuro-linguistisches Programmieren, Supervision. Einige dieser Artikel sind jedoch nur lose mit dem Coachingthema verknüpft (z.B. "Glaube", "Logik", "Naturheilkunde", "Werte-Lichtspiele"). Das Buch enthält mehr Dimensionen, Anregungen und Perspektiven, als es der Titel andeutet. Der Curriculum-Begriff weckt bei vielen vermutlich Erinnerungen an stoffliche schulische Lehrpläne. "Strategisches Curriculum" meint hier dagegen ein prozesshaftes "dramaturgisches" Konzept. Konstruktivistisch betrachtet ist das Lesen eines solchen Buches ein konstruktiver, individueller und emergenter Vorgang. Auch die Lektüre dieser Publikation ist abhängig von den Vorkenntnissen, Erfahrungen, Verwendungssituationen der Leser/innen. Deshalb ist meine Meinung nicht zu verallgemeinern. Ich habe dieses Buch mit großem Erkenntnisgewinn und Interesse gelesen. Inhaltlich habe ich nur wenige Einwände (z.B. ist Lernen meines Erachtens nicht nur ein "bewusster" Prozess, S. 61; "Humor" halte ich nicht für ein "hinderliches Motiv", S. 45). Der konstruktivistische Blick erscheint mir in diesem Buch produktiver und praxisrelevanter als die systemische Sicht. So kann z.B. die Coach-Coachee-Situation noch ausführlicher systemisch interpretiert werden. Für die Lektüre eines solchen umfangreichen Buches benötigt man viel Zeit. Sicherlich wäre für manche Leser eine Kurzfassung wünschenswert.
Soweit ich die Coaching-Literatur überblicke, scheint mir diese Publikation ein klassisches Standardwerk zu sein, das für alle pädagogisch Interessierten lesenswert ist.
Professor Dr. Horst Siebert
Leibniz Universität Hannover